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an harmlosen, zum Theil mit einem unvergleichlichen Humor erzählten Scenen, ist das Buch reich, namentlich wo der Bohémien sich auf die Jagd begiebt ,,à la recherche de cette bête féroce qu'on appelle la pièce de cinq francs."

Die glänzende Aufnahme, die das originelle Buch la Bohême in Paris fand, brachte seinen Verfasser endlich aus der untergeordneten literarischen Stellung, in der er bis zur Herausgabe desselben hatte verharren müssen; denn bis dahin hatte von den geachteteren Blättern nur der Artiste Murger's Productionen seine Spalten geöffnet. Wer diese, zuerst in dem Artiste veröffentlichten, später besonders abgedruckten lyrischen Gedichte und Märchen liesst, mag keiner dieser kleinen anmuthigen Dichtungen eine höhere Bedeutung zugestehen, aber ein unverkennbares Talent, ein wirklicher literarischer Beruf wird ihm gewiss aus denselben entgegentreten. Wenn man dann erfährt, dass der Dichter zur selben Zeit, wo er sie dichtete, um des lieben Brotes willen, welches der Mensch doch nun einmal nicht entbehren kann, den „Moniteur de la Mode" und später sogar „le Castor, journal des chapeliers" redigiren musste, so kann man seinem Schicksal doch wahrlich sein christliches Mitgefühl nicht versagen.

Der Erfolg seiner Scènes de la vie de Bohême entzog ihn wenigstens so unwürdiger Stellung, wenn es ihm auch nicht beschieden war, sich der Fesseln der Armuth jemals ganz zu entledigen. Es thaten sich ihm die Pforten der Revue des deux mondes auf. Dies ist für einen jungen französischen Schriftsteller ein Ereigniss, mit welchem er in ein neues Stadium seiner literarischen Laufbahn eintritt. Wessen Arbeiten in der bekannten Revue gestanden haben, der hat sich gewissermassen ein Anrecht wenigstens auf Beachtung in den höheren literarischen Kreisen erworben, dessen Artikeln pflegt keine andere Zeitschrift die Aufnahme zu versagen.

Im Jahre 1851 wurden eine Reihe von Scenen der Bohême unter Mitwirkung des gewandten Théodore Barrière, des Autors der Filles de marbre und der Faux bons hommes auf die Bühne Archiv f. n. Sprachen XXXI.

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gebracht. Ein dramatisches Werk kann man diese geschickt aneinander gereihten, durch eine hinzugedichtete Intrigue dürftig zusammengehaltenen Scenen nicht wohl nennen, da ihm von den berühmten drei Einheiten nicht weniger als alle drei fehlen. Allein bei dem bedeutenden dramatischen Leben, welches diese Scenen schon in ihrer ursprünglichen Composition hatten, bei der heiteren Laune, die den grössten Theil derselben durchzieht, dem sprudelnden Witze des Dialogs, ein Dialog, der sich fast überall schon fertig vorfand, war es sehr begreiflich, dass das Stück, von den Schauspielern des Théâtre des Variétés vortrefflich dargestellt, lange Zeit ein ausserordentliches Glück machte. Im verwichenen Jahre ward es nach Murger's Tode von der Truppe des Ambigu comique neu einstudirt und ist bis zum Ende des Jahres mit fortdauerndem Beifall gegeben

worden.

Im Jahre 1852 gelang es Henri Murger, eine seiner älteren kleineren Erzählungen, indem er die ursprünglich ziemlich frivole Tendenz vollständig umkehrt und sich nur an den Gegenstand anlehnt, zu einem höchst ansprechenden einactigen Stückchen umzugestalten, le Bonhomme Jadis, welches die erste Bühne der Hauptstadt, das Théâtre-Français, mit Glück aufführte. Und um hier gleich mit der dramatischen Thätigkeit Murger's abzuschliessen, erwähne ich noch, dass er in dem seinem Tode vorhergehenden Jahre in einem kleinen Lustspiel le Serment d'Horace, das er dem Théâtre des Palais-Royal zur Aufführung übergab, den Contrast zwischen dem Benehmen cines Pariser Originals und dem eines Amerikanischen gentleman aus einem der Südstaaten der weiland Union, welcher nur in Revolverbegleitung verhandelt und zur Verstärkung des Klingelns sein Pistol in den Kamin hinein abschiesst, wenn die Bedienung nicht gleich auf den ersten Glockenzug erscheint, in höchst ergötzlicher Weise in Scene setzte.

In der Revue des deux Mondes hat Murger zwei grössere Arbeiten veröffentlicht, im Jahre 1853 „Adeline Protat ou Scènes de la Vie de Campagne" und 1854 „les Buveurs d'eau, scènes de la Vie d'artistes," über die ich in dieser kurzen Skizze noch ein

Wort sagen will. Ich beginne mit der zweiten, den Buveurs d'eau, da sie mit den Scènes de la vie de Bohême in einem inneren Zusammenhange stehen und zu diesen einen entschiedenen sittlichen und literarischen Fortschritt bilden. Der Titel ist bezeichnend genug, denn dass ,,Buveurs d'eau" keine Wassertrinker der Gesundheit wegen, keine sogenannte „, Wasserfreunde," sondern eine Gesellschaft armer Teufel bezeichnet, welche sich in ihren Versammlungen aus Sparsamkeit nur mit Wasser (und gar mit filtrirtem Seinewasser!) tractiren, ist wohl an sich klar.

In der „Bohême," von der ich oben sprach, herrscht das Element wilder Ungebundenheit vor, die bisweilen zur Zügellosigkeit und zu cynischem Verhalten ausartet, zwar gepaart mit einer Fülle von Geist und Humor, die aber doch nur erträglich ist, weil sie sich als Uebergangsperiode darstellt, als ein Ringen gegen ungünstige äussere Verhältnisse, als ein Ueberströmen jugendlicher Kraft, die später andere würdigere Bahnen finden wird. Die Buveurs d'eau sind eine Genossenschaft, eine Art Geheimbund junger strebsamer Künstler, die unter dem Drucke äusserster Armuth ihre Ausbildung vollenden, das heilige Feuer der Kunst tief innerlich bewahren, die sich verbunden haben, um sich gegenseitig zu tragen und zu stärken in dem Kampfe gegen die ihnen täglich nahe tretende Versuchung, ihr Talent handwerksmässig zum Erwerb auszubeuten. Dem sittlichen Fortschritt, in welchem die Buveurs d'eau zu den Scènes de la Vie de Bohême stehen, entspricht ein eben so bedeutender literarischer und sprachlicher Fortschritt. Während die Bohême vor den Augen des Lesers nur eine Reihe kecker zum Theil allerdings meisterhaft gezeichneter Gemälde entrollt, die zueinander in keinem nothwendigen inneren Zusammenhange stehen, entwickeln sich aus den Schilderungen des Lebens der Buveurs d'eau einige novellenartig in sich abgeschlossene Episoden. Die Sprache ist correkter, literarischer geworden, ohne an Kraft und Originalität eingebüsst zu haben. Die Meisterschaft, welche die Bohême für launige Darstellung bekundet, findet sich hier, allerdings nicht ohne einen Anflug der den meisten französischen Prosaikern der

Neuzeit anhaftenden Manier, für die Schilderung ernster Vorfälle wieder.

Bei allem aufrichtigen Bedauern, welches der frühe Tod Murger's in der Pariser Schriftstellerwelt hervorrief, war doch die allgemeinere Ansicht über sein Talent die, dass dasselbe ein einseitiges, der weiteren Entwickelung wenig fähiges gewesen sei. In Allem was er geschaffen, tönten, so meinte man, die alten Klänge aus der Vie de Bohême, welche mit seinem Wesen auf das Tiefste verwachsen schienen, wenn auch in vielfach veränderten Weisen, immer wieder und wieder durch. Man ist fast geneigt, dieser Behauptung, beizupflichten, wenn man spätere Productionen, wie die „Scènes du Pays, latin," oder „les Vacances de Camille" ansieht. Aber wer Murger's zweites grösseres Werk „Adeline Protat, ou Scènes de la Vie de Campagne" ruhig auf sich hat wirken lassen, wird doch jener Ansicht entgegentreten und dem Dichter eine Entwickelungsfähigkeit zugestehen müssen, der leider nur das längere Leben gefehlt hat.

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In Adeline Protat" haben wir einen in sich abgeschlossenen Roman und zwar einen Roman aus dem Volksleben, eine wirkliche Dorfgeschichte vor uns, in deren Anlage sich allerdings vielfach die Unbehülflichkeit des Anfängers zeigt, die aber von einer feinen psychologischen Beobachtungsgabe Zeugniss giebt und das Talent bekundet, die Denk- und Empfindungsweise des Volkes treu wiederzugeben.

Der Schauplatz der Handlung ist ein Dorf am Rande des grossen Waldes von Fontainebleau, einem der wenigen Reste der ungeheuren Waldungen, welche einst das alte Gallien bedeckten. Das Dorf ist nicht in der unmittelbaren Nähe jener Gegenden gelegen, die alljährlich von Hunderten und aber Hunderten von Touristen aus der Hauptstadt und den unvermeidlichen Söhnen Albions besucht werden, sondern bei einer Reihe von schönen und grossartigen Waldpartieen, welche vorzugsweise das Wallfahrtsziel der Pariser Maler sind. Der Held des Romans ist denn auch einer von den Jüngern der Kunst,

welche der Pariser Künstlerjargon rapins" getauft hat und die das Landvolk jener Gegend in souverain-volksthümlicher Wortbildung einen désigneux zu nennen pflegt. Die Heldin des Romans Adèle, die Tochter des sabotier Protat hat eine Erziehung weit über ihren Stand hinaus bei den Eltern einer Jugendfreundin genossen, welche als Kind von Adeline's Vater aus dem Wasser gerettet wurde. Sind so allerdings die beiden Haupthelden der Erzählung durch ihre Bildung dem eigentlichen Volksleben entrückt, so gehören sie ihm doch durch Abstammung, Gesinnung und Gewohnheit an; denn Adèle hat bei den vornehmen Leuten das Kind des Volkes nicht verläugnet und ist willig und gern zu dem alternden Vater in das bescheidene Häuschen zurückgekehrt, in dem sie an Stelle ihrer längst verstorbenen Mutter die Geschäfte der Hausfrau versieht. Und die anderen in den Gang der Handlung eingreifenden Personen gehören ganz dem Volke an, die mère Madelon, die ein widriges Geschick aus einer wohlhabenden Bauersfrau in ihrem Alter zur Magd gemacht hat, der Lehrling und Pflegesohn des alten Protat, der den für einen Findling und der Holzschuhschneidekunst Beflissenen allerdings sehr zarten Namen Zéphyr führt, und namentlich der alte Protat selbst. Dieser ist eine vortrefflich gezeichnete Figur, zugleich Handwerker und für seine Verhältnisse wohlhäbiger Eigenthümer von Haus und Acker ist er ein Typus der Energie, der Unabhängigkeit, des gesunden Sinnes, aber auch des Hochmuthes und Starrsinns des französischen Bauern, der es sich auf den ersten Blick ansehen lässt, dass er der Sohn der Väter ist, welche das sociale Drama der ersten Revolution in Scene setzen halfen.

Denke ich an den Gesammteindruck, welchen die wiederholte Lectüre dieses Romanes, mit seiner trefflichen Charakterzeichnung, seinen naturgetreuen Schilderungen der Vorgänge des Dorflebens und der naiven Vorstellungen der Landleute auf mich gemacht hat, so kann ich nicht umhin die Ueberzeugung auszusprechen, dass Henri Murger, der Sohn des Volkes, der häufig und gern mit dem Landvolk verkehrte, auf diesem in der französischen Literatur so wenig angebauten Gebiete (George Sand's Petite Fadette, Marc au Diable und François

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