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Studium der Natur wohl wusste, dass zwar der Einzelne in sich vollendet und dem Höchsten gleich, dass aber Keiner dem Andern gleich sei und sein könne. Aber für alle diese Einsichten sich ausschliesslich zu bekennen und sie auch praktisch geltend zu machen, liegt nicht in seiner subjectiven und neutralen Natur. Er lässt Alles werden und gewähren und äussert höchstens seinen Unwillen über eine seinen Ansichten widerstrebende Erscheinung. Ja zuweilen, wenn ihm eine derartige Erscheinung an Menschen und Dingen menschlich-interessante Seiten darbietet, erregt sie sogar sein Interesse und seine Freude und bestimmt ihn, die Hoffnung auszusprechen, dass man auch so zum Ziele gelangen könne. Daher sehen wir ihn in der Politik ohne jegliches praktisches Parteiinteresse, den Liberalen so gut wie den Conservativen angehörend, ohne ein ausschliessliches und dauerndes Interesse für sie zu hegen und sich durch die That auf ihre Seite zu stellen. Er ist eben aus seiner subjectiven Neutralität und Bequemlichkeit nicht herausgegangen.

Ganz ebenso ist sein Verhalten in der Religion. Auch hier begegnen wir oft recht guten religiösen Ansichten, ohne dass sich Goethe ausschliesslich und bestimmt dazu bekennt und mit seinem Leben und Handeln dafür einsteht. Denn was ihm eigentlich fehlte, war der religiöse Glaube, das was die christliche Kirche den Glauben nennt. Ein solcher, welcher vor Allem ein bestimmtes Bekenntniss heischt, tief wurzelnd in der Herzens- und Gemüthsinnerlichkeit, dessen erstes Gebot ist, seine eigene Seele zu binden, dessen Wesen ja als eine göttliche Kraft und Energie hauptsächlich darin besteht, dass er sich bethätige und reiche Früchte bringe, würde ihn in seinem allgemeinen, neutralen Verhalten nur gestört und beengt haben. Darum weiss er nichts von ihm und will nichts von ihm wissen. Wenn er vom Glauben spricht, so versteht er darunter nur eine innere Harmonie der subjectiven Einsicht und des objectiven Verhältnisses, nicht eine Kraft, sondern ein Verhalten der Ueberzeugung. Er ist ihm nicht jene weltbezwingende und weltgestaltende Kraft, durch welche, wie die Bibel in ihrer kräftigen und bilderreichen Sprache sich ausdrückt, die Gläubigen Königreiche bezwungen und der Löwen Rachen ver

stopfet, durch welche sie sind kräftig geworden aus der Schwachheit. So kam es, dass Goethe das Christenthum an Andern wohl hochachten konnte, er selbst aber in kein bestimmtes Verhältniss zu ihm trat. Zuweilen scheint es, als ob das Licht einer höheren Wahrheit vor seinem Auge erglänze; er hat manche schöne Aeusserung gethan, die von einer christlichen Erkenntniss und Empfindung zeugt. So äussert er sich gegen Eckermann: „Die christliche Religion ist ein mächtiges Wesen für sich, woran die gesunkene und leidende Menschheit von Zeit zu Zeit sich immer wieder emporgearbeitet hat, und indem man ihr diese Wirkung zugesteht, ist sie über alle Philosophie erhaben und bedarf von ihr keine Stütze." Wir sehen, wie er hier das Christenthum als welthistorische, als die realste Thatsache auffasst, und bald darauf erklärt er wieder gegen Eckermann die Auferstehung Christi für eine Legende. Eine andere Aeusserung in den Gesprächen mit Eckermann: „Man verehre den, der dem Vieh sein Futter giebt und dem Menschen Speise und Trank so viel er geniessen mag. Ich aber bete den an, der eine solche Productionskraft in die Welt gelegt hat, dass, wenn nur der millionteste Theil davon in's Leben tritt, die Welt von Geschöpfen wimmelt, so dass Krieg, Pest, Wasser und Brand ihr nichts anzuhaben vermögen. Das ist mein Gott!" --zeugt von einer tieferen Auffassung von Gottes Allmacht als den Inbegriff und Quellpunkt aller wahrhaften Macht im Himmel und auf Erden gegenüber dem flachen Rationalismus seiner Zeit, welcher die einzelnen Prädicate Gottes nicht in ihrer Gesammtheit, nicht als zu Gottes vollkommenster Realität gehörig erfasste, sondern sie auseinander trennte und abstract nahm und z. B. lehrte, Gottes Allmacht bestehe darin, Alles zu können. Eine eben so lebendige und eindringende Vorstellung legte Goethe in verschiedenen Aeusserungen von der Allgegenwart Gottes an den Tag. Und doch wieder sehen wir ihn, wie er sich mit abstracter Verstandeserkenntniss in diesem Punkte begnügt und wo diese nicht ausreicht und ihn auf Trugschlüsse führt, sich mit der Unergründlichkeit des göttlichen Wesens tröstet. Sobald wir dem Menschen seine Freiheit zugestehen," sagte er einmal zu Eckermann, „ist es um die Allwissenheit Gottes gethan; denn sobald die Gottheit weiss,

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was ich thun werde, bin ich gezwungen, zu handeln, wie sie es weiss. Dieses führe ich nur an als ein Zeichen, wie wenig wir wissen und dass an göttlichen Geheimnissen nicht gut zu rühren ist."*)

Dieses schlaffe, neutrale Verhalten Goethe's den wichtigsten Lebensfragen gegenüber hängt theilweise mit einer anderen Seite seines Wesens zusammen, mit seiner geistigen Bequemlichkeit, mit dem Bestreben, alles Unbequeme von sich fern zu halten und sich mit Allem, was nicht zu vermeiden und zu umgehen ist, ohne Nachtheil für sich zu setzen und zu stellen, sein ganzes Wesen in einem steten Gleichgewichte zu erhalten. Alles Einseitige und Extreme, alles Ueberschwängliche und Ausschweifende war ihm zuwider, Alles, was seine Geisteskräfte übermässig in Anspruch nahm, was seine Gedanken in eine strenge Bewegung setzte, nicht seine Sache. Daher seine natürliche Abneigung gegen die „, spanischen Stiefel der Logik" und die „graue Figur der Metaphysik," daher er oftmals gestand, dass er zur eigentlichen Philosophie durchaus keine Beziehung in sich finde. Aus gleichem Grunde übte er auch keineswegs etwa wie Lessing eine vernichtende Kritik in Religionssachen, obgleich er in dieser Hinsicht manche bittere und verletzende Aeusserung gethan; er äusserte im Gegentheil gegen Eckermann: „Die Menschen können keine Ruhe halten, und ehe man es sich versieht, ist die Verwirrung wieder oben auf. So rütteln sie jetzt wieder an den fünf Büchern Mosis, und wenn die vernichtende Kritik irgend schädlich ist, so ist sie es in Religions sachen; denn hierbei beruht Alles auf dem Glauben, zu welchem man nicht zurückkehren kann, wenn man ihn einmal verloren hat." Aber, wie wir schon aus dem Schlusssatze der eben angeführten Aeusserung sehen, Goethe's religiöse Ansichten und Aeusserungen tragen häufig den Charakter der geistigen Bequemlichkeit. Hieraus erklärt sich auch seine Vorliebe für Kant, der ihm das religiöse Gebiet im Grunde ziemlich frei liess. Die Einkehr in sich selbst, das Richten über sich selbst fällt ihm schwer. Wer sich in den

*) Geistreich und ausführlich hat Leo diesen Punkt in der Berliner evang. Kirchenzeitung von 1856 Stück 8 behandelt.

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eigenen Busen schaute, meinte er, dem sei so schlecht in seiner Haut wie dem, der sein eigenes Gehirn belauere. Ein zu zartes Gewissen," äussert er ein andermal, welches das eigene moralische Selbst so hoch schätzt, dass es ihm nicht verzeihen will, macht hypochondrische Menschen, wenn es nicht durch eine grosse Thätigkeit balancirt wird." Dass es noch eine andere Wahl als zwischen Selbstvergebung und Melancholie gebe, fällt ihm dabei nicht ein. Verklagt ihn das eigene Gewissen, so schreibt er ein Stück, um sich von der Last und Qual zu befreien. Kein Wunder auch, dass er dem Pelagianismus zugethan war und die Augustinische Lehre von der Sünde und Gnade ihn abstiess. Auch die Unsterblichkeitslehre hat ihm etwas Unbequemes, daher lässt er sie bei Seite oder geht gleichgültig darüber hinweg. Die Beschäftigung mit Unsterblichkeitsideen," sagte er einmal zu Eckermann, „ist für vornehme Stände und besonders für Frauenzimmer, die nichts zu thun haben. Ein tüchtiger Mensch aber, der schon hier etwas Ordentliches zu sein gedenkt, und der daher täglich zu streben, zu kämpfen und zu wirken hat, lässt die künftige Welt auf sich beruhen und ist nützlich und thätig in dieser." Und als ihn am Ziel seines Lebens seine Jugendfreundin, die Gräfin Bernsdorf geb. von Stolberg, sich dem Ewigen zuzuwenden ermahnt und ihn auf das Jenseits verweist, tröstet er sich wegen des letzteren mit den vielen Provinzen in seines Vaters Reiche, wo ein Jeder eine ihm wohnliche angewiesen bekommen werde. Seine Freiheit zu bewahren, will er sich überhaupt religiös, ohne Beziehung zu einer bestimmten Religion," entwickeln. Desgleichen wechselt er in Religionssachen vielfach die Farbe, wie es ihm eben bequem ist, und gesteht selbst in einem Briefe an Jacobi: „Ich für mich kann bei den mannigfaltigen Richtungen meines Wesens nicht an einer Denkweise genug haben: als Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist hingegen als Naturforscher und eins so entschieden als das andere; bedarf ich eines Gottes für meine Persönlichkeit als sittlicher Mensch, so ist dafür auch schon gesorgt." Aus Bequemlichkeit will er auch weder Christ noch Antichrist sein, sondern „sein Christus hatte auch seine eigene Gestalt nach seinem Sinne angenommen." Wir wiederholen

es schliesslich, bei dem entwickelten Grundzuge seines Wesens musste es Goethe schwer fallen, ganz mit Herz und Sinn dem Christenthume mit seinen strengen Geboten und Lehren, mit seinen tief beschämenden Wahrheiten anzugehören.

Ein berühmter Theologe hat den wahren und treffenden Ausspruch gethan: „Goethe ist nur Natur." Diesem fügen wir Schiller's Worte an: „Goethe holt zu viel aus der Sinnenwelt, wo ich aus der Seele hole." Wie er nicht dichterisch zu gestalten vermochte, was er nicht selbst angeschaut und erfahren hatte, so war ihm auch die sinnliche Anschauung und Erfahrung die einzige Wahrheitsquelle für das Wissen. Was man innere christliche Erfahrung nennt, war ihm, weil eben rein geistiger Natur und schlechterdings durch die Sinne nicht zu vermitteln, fremd. Daher seine überwiegend concrete religiöse Weltanschauung, sein Evangelium der fünf Sinne, das Buch der Natur sein Evangelium. Die pantheistische Weltanschauung bleibt die, worein er sich am besten finden kann. Natur und Weltseele war ihm Gott, er erkannte keinen persönlichen Gott an. Aus der Natur würde er es wagen, seinen Gott zu gestalten, wie er aus dem Reichthum der Pflanzen die Urpflanze gezeichnet, wenn nur das dürftige Menschenauge die Unendlichkeit der Dinge umfassen könnte. Der Gott nun, der die Natur durchdringt, durchdringt auch uns; denn wie könnten wir sonst das Göttliche erkennen? Auch in unserm Innern ist ein Universum und der Beruf unserer Kräfte ist, mit dem Weltgeist selbst zu ringen, umzuschaffen das Geschaffene; denn im Wirken und Thun liegt das Ziel des Lebens selbst, denn das Ewige liegt nur in der Bewegung, nur im Wechsel ist Dauer; das Einzelne muss zerfallen, wenn es im Sein beharren will, die Gattung existirt nur fort, in der der Einzelne schwinden muss; im Grenzenlosen sich zu finden, würde auch das Individuum sich gern aufgeben. *) Wir überlassen dem Leser das Urtheil über solche Ansichten, die Goethe im II. Theile des „Faust" noch weiter ausgeführt hat; aber christlich sind sie keineswegs, nicht einmal vernünftig. Von diesem naturalistischen Standpunkte aus gerirt sich denn Goethe auch

*) Siehe Gervinus' Literaturgeschichte Theil V. S. 118 ff.

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