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Heraufförderung des im Worte lebenden unvergänglichen Hortes des Herzens und Geistes: ein wahres Lebenswerk.

v. d. Hagen,

VII.

Ueber Erdkundliches im Nibelungenliede.

Von keinem Orte aus ist so viel zur Bekanntmachung und Verbrei

tung des Nibelungenliedes geschehen, als von Berlin aus. Die erste Ausgabe des alten Volks- und Heldengedichts erschien 1782 zu Berlin von Professor Christoph Heinrich Myller. Im Winter 1802 hielt der Professor August Wilhelm Schlegel öffentliche Vorträge über Literatur vor einem gebildeten Kreise von Männern und Frauen, und mein alter Freund von der Hagen hat selbst gestanden, daß ihn diese Vorträge für das Schriftwesen unserer Altvordern gewonnen haben. Er gab zuerst 1807 bei Unger eine Ueberarbeitung des alten Liedes heraus, dem die Herausgabe in der Ursprache 1810 bei Hizig folgte; zugleich hielt er auf der neu entstandenen Hochschule darüber öffentliche Vorlesungen.

Auch mich zog diese alte Heldensage an, auf welche mich Johannes von Müller 1804 merksam gemacht hatte. In dem vers hängnißvollen Winter 1812-1813 als sich Europas Geschick auf den Schneefeldern Sarmatiens entschied, in jener Zeit aufgeregter Spannung, hielt ich auf hiesiger Hochschule, ermuntert von meinem verehrten Gönner Herrn Wirkl. Geheimenrath Nicolovius, über unser altes Lied öffentliche Vorträge vor einem Kreise von etwa 400 Zuhörern, unter denen selbst hohe Staats- und Kriegsbeamte sich befanden. Diese Vorträge waren ein Kind der Zeit, mehr vaterländisch anregend, als grammatisch zergliedernd.

Im Frühjahre 1813 wurde ich aufgefordert in einigen Vorlesun= gen eine Uebersicht des Licdes, für einen allgemeinen Kreis, wozu auch Frauen Zutritt hätten, zu geben; was ich im runden Saale der Aka= demie der Wissenschaften that, wobei ich meinen verehrten Lehrer den Homeriden Friedrich August Wolf nun als Nibelungiden zu bemerken die Freude hatte, der also nun selbst zu der Zunft der Nibe

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lungensüchtigen gehörte, die er selbst scherzhaft gestempelt hatte. Ich gab nun 1814 in der Maurerschen Buchhandlung meine neudeutsche Uebertragung des Liedes in ungebundener Rede heraus, welcher Göthe die Ehre erwiesen hat, sie einem kleinen gewählten Kreise vorzulesen, wie ich überzeugt bin, nicht wegen ihrer Vorzüge vor andern Erneuerungen, sondern weil jener Dichter-Meister Uebertragungen in un gebundener Rede für treuer hielt, worüber er, später 1816 in Weimar viel Lehrreiches mit mir sprach und auf meine Frage, ob wir vielleicht von ihm eine ähnliche dichterische Ueberarbeitung zu erwarten hätten, wie vom Reinike Fuchs, mir antwortete, man müsse nicht viel an solche alte Sachen rühren. Inzwischen war der Krieg durch Napoleons Entweich von neuem ausgebrochen, und da viele Jünglinge dieß Lied als ein Palladium in den bevorstehenden Feldzug mitzunehmen wünschten, die Hagensche Ausgabe aber vergriffen war, und eine kleine Taschenform gewünscht wurde, so gab ich 1815 in 12 die kleine „Feld- und Zeltausgabe“ heraus, die manchen wackern Jüngling vor einer feindlichen Kugel vielleicht ebenso geschüßt haben mag, wie Fich: tes Vorträge über das selige Leben wirklich einem jungen Freiwilligen die Kugel aufgefangen haben. Von Hagens Ausgabe erschien im nächsten Jahre, wenn auch nicht in Berlin, doch ebenfalls in einem Orte des preußischen Staates, und zwar in der zweiten, Stadt des Reiches, in Breslau, wohin er jest versezt war, die zweite Auflage, der nach 4 Jahren die dritte folgte.

In jenem Jahre 1816 machte ich eine Reise in die Gegend, wo das alte Lied seinen Hauptschauplay hat und hielt einen öffentlichen Vortrag in der großen Halle (Aula) vor etwa 600 Zuhörern und Zuhörerinnen zu Heidelberg, einen zweiten im kleinern Kreise im Angesichte jenes alten Doms zu Worms, und einen dritten im Museum zu Frankfurt a. M., woran mich noch kürzlich mein verehrter Freund, Herr Seminar-Direktor Diesterweg als Ohrenzeuge erinnerte.

Auf dieser Reise sah ich in Wisbaden bei Herrn Professor Hundeshagen seine so viel bestrittene Handschrift des Nibelungenliedes. Ich kann nicht umhin, über diese geheimnißvolle Handschrift etwas weitläufiger zu sprechen. Allgemein war damals die Meinung am Rein, daß Glöckle in Ingelsheim eine Handschrift des Nibelungenliedes aus dem Vatican mitgenommen und an Hundeshagen verkauft habe. Auch ich war lange dieser Meinung, bis mir später in Berlin Herr Weinhändler Kreuser aus Mainz sagte, daß er als Knabe diese

Handschrift der hübschen Gemälde wegen oft im Hause der Bürgers familie Münzenberger in Händen gehabt, und daß Hündeshagen sie von daher besize. Woher sie diese Familie gehabt habe, konnte ich nicht erfahren. Der ehemalige Tribunalpräsident Bodmann erzählte mir in jenem Jahre in Mainz, daß das Domkapitel von Mainz eine schöne Handschrift des Liedes gehabt habe, die jest entweder in Erfurt oder irgendwo in Mainz sei. Von Erfurt ist keine Kunde gekommen, und die Münzenberger-Hundeshagensche Handschrift konnte es auch nicht sein, da diese von Papier, die des Domkapitels aber von Pergas ment sein sollte. Auch Herr Senator Thomas in Frankfurt sagte mir von einer Pergamenthandschrift, nur war darin eine Verschiedenheit, daß er von hübschen Gemälden sprach, Bodmann aber sagte, sie sel ohne Bilder gewesen. Lehterer hielt übrigens Mainz für die Heimath des Liedes und Frauenlob für den Dichter, den er für ein und dieselbe Person mit Heinrich von Ofterdingen hielt, da Frauenlobs Haus in Mainz noch bis jetzt zum Afterding heiße. Ob jene beiden achtbas ren Männer einen Gedächtnißfehler begangen, und Papier zur Thiers haut gemacht haben, oder ob wirklich noch eine bisher unbekannte Handschrift vorhanden ist, darüber schwebt ein Dunkel.

Ich kehre nach Berlin zurück. Nach der Berufung der Herren Professoren Lachmann und von der Hagen, lasen nun auch diese ehrenwerthen Sprachforscher über unser Heldenlied. Ersterer gab. 1826 bei Reimer der Nibelungen Noth mit der Klage in der ältesten Gestalt nach der Ems-Münchner, Handschrift heraus. Die Hagensche und meine Ausgabe hatten mehr gemischte Lesarten. Nur Freiherr von Lassberg in Eppishusen im Thurgau gab einen wörtlichen Abs druck seiner Handschrift, die früher ebenfalls in Ems (nämlich Hohenems unfern des Reins bei Bregenz in der Nähe des Bodensees) aufbewahrt wurde. Diese beiden einst zu Ems befindlichen Handschriften stehen in einem gewissen polaren Gegensage. Wärend die Ems Münchner die einfachste, also wol die älteste Gestalt zu sein scheint, in 2316 Gesäzen, Stanzen, Strofen, Liedern, oder wie man sonst diese Reimgänge nennen will, hat die Ems-Lassbergische viele Erweiterungen und Ausführungen in 2428 Gefäzen, so daß die lettere 112 Gesäze oder 448 Reimzeilen mehr enthält. Ein besonderer Gegensah bildet sich auch zwischen beiden Handschriften in Hinsicht mancher Dertlichfeiten. Ueber dieses Erdkundliche des Liedes sei es mir vergönnt, in einigen Vorträgen zu sprechen.

I.
1. Wasgau, Odenwald, Spechtshart.

Alle Handschriften haben den Ort der Jagd nach dem Wasgau verlegt, lassen aber dabei von Worms über den Rein fahren, da doch Worms, trok des oft wechselnden Flußlaufs, unverändert auf dem linken Ufer gelegen war. Als nämlich in der 16ten Abenteuer *) der fälschlich angedrohte Krieg nicht zu Stande kommt, sagt Gunter:

Nu wir der herverte ledich worden sin,

so wil ich iagen riten beren unde swin,
hin zu dem Waschenwalde.

Aber die Laffbergische Handschrift hat hier Otenwalde, und dieser
Wald liegt allerdings Worms gegenüber auf dem rechten Reinufer.
In der nächsten, 17ten Abenteuer wird ausdrücklich die Fahrt über
den Rein erwähnt, sowohl bei der Hin- als Rückreise. Am Ende der
Abenteuer hat nun die Lassbergische ein Gesäz mehr:

Von demselben brunne, da Sivrit wart erslagen,
sult ir diu rehten märe von mir horen sagen:
vor dem Otenwalde ein dorf lit Otenhain,
da vliuzet noch der brunne, des ist zwifel dehein.

Die Wiener Handschrift, welche früher auf dem Schlosse Ams bras bei Insbruck war, liest ganz ähnlich Ottenwald und Otten= hain, obgleich es in der vorigen Abenteuer den Waschenwald als künftige Jagdstelle bezeichnete, was nicht gerade als ein grober Widerspruch zu nehmen ist, da Gunter seinen Entschluß absichtlich oder auch zufällig geändert haben konnte, ohne daß es der Dichter erwähnt. Uebrigens ist Otenheim oder Odenheim, jezt Edigheim oder Edighum ein Dorf etwa 2 Stunden oberhalb Worms, jest zwar auf der linken, also gerade auf demselben Ufer wie Worms, aber vor einigen Jahrhunderten auf dem rechten Ufer, da der Rein 3 Stun den oberhalb Worms bis zur Stadt selbst einen etwas öftlicheru Lauf hatte, wie eine alte Gaukarte zeigt.

Der alte Sebastian Münster schwankt bei Odenwald zwischen der Ableitung von einem alten Besizer Otto und von der Dede des Waldes, wozu man noch eine dritte Herleitung vom Odin rechnen kann. Nun ist freilich in unserm Liede auffallend, daß die Jagd zu Berge oder Strom aufwärts gegangen, da doch Hagen als Entschuls

*) Wenn man nämlich das ganze Lied in 40 (eigentlich 2 mal 20) Abenteuer theilt, wie meine kleine Ausgabe, Leichtlen und von Rebenstock gethan haben.

digung des mangelnden Weines anführt, er sei aus Versehen nach dem Spechtsharte (d. h. Spechtswalde) dem jezigen Spessarte gefandt worden, der bekanntlich an 16 Stunden von Worms zu Thale oder Strom abwärts und zwar tiefer im Lande auf dem nördlichen Ufer des Mains liegt. Allein man könnte annehmen, daß Hagen. blos die Richtung nach dem Spessarte hin anzeigen will, indem er sagt: ich wande, daz daz pirsen hiute, solde sin

da zem Spechtsharte.

Ob nicht die beiden kürzlich für Berlin gewonnenen Handschrif ten, eine auf Papier, eine auf Pergament, in die mir Herr Professor Lachmann, welcher beide jest in seiner Wohnung hat, freundlich Einsicht gestattete, für die Dertlichkeit dieser Jagd eine neue, vielleicht die richtigste Bestimmung, enthalten, will ich für jezt zurückhalten, da wir in kurzem in dem zweiten Bande zur Lachmannschen Ausgabe einen ausführlichen Bericht darüber erhalten werden.

II. Die beiden Donaustraßen.

In dem zweiten Theil unsers Liedes, den ich nicht umhin kann, für das Werk eines andern Sängers *) zu halten, da 1) eine ganz andere Handlung, (im ersten Theile Siegfrieds Ritterthum, das mit seiner Ermordung Chriemhilds Jugendtraum zur Erfüllung gebracht hat, im zweiten Chriemhilds Rache); 2) eine ganz andere Zeit, dort die Völkerwanderung, hier die ein halbes Jahrtausend spätere Ungerherrschaft mit Rüdeger und Pilgerin, beide im zehnten Jahrhundert; 3) eine etwas verschiedene Auffassung, dort nordischer Zauber, hier östliches Völkergewirr, fich zeigen - sind fünf verschiedene Fahrs ten oder Reisen, die Donau ab- und aufwärts beschrieben, drei von Ungarn nach Worms, zwei von Worms nach Ungarn.

Schon die Römer hatten vom Reine her eine, vielleicht auch zwei Straßen nach der untern Donau, über welche Leichtlen in seiz nem trefflichen Werke Schwaben unter den Römern, Freiburg 1825, und Cretizer über alt-römische Cultur am Ober-Rein und Neckar, Darmstadt 1833, Forschungen angestellt haben. Nach der zweiten Karte bei Leichtlen würde der alte Römer-Weg von Worms nach Un

*) Ich wage nicht zu entscheiden ob Schlegels und v. d. Hagens Heinrich von Ofterdingen oder Bodmanns Frauenlob den ersten, (nach M. und W. Chriem, hilt) oder aber der zweifelhafte Klingsor des Grafen Mailath den zweiten (nach dem Schlusse aller Hdff. außer EL. der Nibelunge Not) gedichtet habe.

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