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Gottheit*, und die schönen Bildsäulen und Gemälde eines Bacchus, eines Apollo, eines Mercurius, eines Herkules waren selten ohne eine Schlange. Die ehrlichen Weiber hatten des Tages ihre Augen an dem Gotte geweidet, und der verwirrende Traum 5 erweckte das Bild des Tieres. So rette ich denTraum und gebe die Auslegung preis, welche der Stolz ihrer Söhne und die Unverschämtheit des Schmeichlers davon machten. Denn eine Ursache mußte es wohl haben, warum die ehebrecherische Phantasie nur immer eine Schlange war.

10 Doch ich gerate aus meinem Wege. Ich wollte bloß fest= seßen, daß bei den Aten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen sei.

Und dieses festgesezt, folget notwendig, daß alles andere, worauf sich die bildenden Künste zugleich miterstrecken können, 15 wenn es sich mit der Schönheit nicht verträgt, ihr gänzlich weichen und, wenn es sich mit ihr verträgt, ihr wenigstens untergeordnet sein müssen.

Ich will bei dem Ausdrucke stehen bleiben. Es gibt Leidenschaften und Grade von Leidenschaften, die sich in dem Gesichte 20 durch die häßlichsten Verzerrungen äußern und den ganzen Körper in so gewaltsame Stellungen seßen, daß alle die schönen Linien, die ihn in einem ruhigern Stande umschreiben, verloren gehen. Dieser enthielten sich also die alten Künstler entweder ganz und gar oder seßten sie auf geringere Grade herunter, 25 in welchen sie eines Maßes von Schönheit fähig sind.

Wut und Verzweiflung schändete keines von ihren Werken. Ich darf behaupten, daß sie nie eine Furie gebildet haben**.

* Man irret sich, wenn man die Schlange nur für das Kennzeichen einer medizinischen Gottheit hält, wie Spence,,,Polymetis"1 p. 132. Justinus 30 Martyr 2 (Apolog. II. p. 55. Edit. Sylburg.) sagt ausdrücklich: „¬aQA TAVTI των νομιζομενων παρ' ὑμιν θεων, ὄφις συμβολον μεγα και μυστηριον åvaɣgapetai "; und es wäre leicht eine Reihe von Monumenten anzuführen, wo die Schlange Gottheiten begleitet, welche nicht die geringste Beziehung auf die Gesundheit haben. ** Man gehe alle die Kunstwerke durch, deren Plinius 35 und Pausanias 4 und andere gedenken; man übersehe die noch izt vorhandenen

1 Vgl. Abschnitt VII (S. 71 dieses Bandes, 3. 16). 2 Justinus Martyr, Kirchenvater des 2. Jahrh. n. Chr.; sein hier zitiertes Hauptwerk ist die „Apologie“. 8,,Jedem der bei uns angerufenen Götter wird die Schlange als großes myst sches Symbol zugeschrieben.“ 4 Pausanias, Grieche des 2. Jahrhunderts n. Chr.,

Zorn sezten sie auf Ernst herab. Bei dem Dichter war es der zornige Jupiter, welcher den Bliz schleuderte, bei dem Künstler nur der ernste.

alten Statuen, Basreliefs, Gemälde: und man wird nirgends eine Furie finden. Ich nehme diejenigen Figuren aus, die mehr zur Bildersprache als zur Kunst 5 gehören, dergleichen die auf den Münzen vornehmlich sind. Indes hätte Spence, da er Furien haben mußte, sie doch lieber von den Münzen erborgen sollen (Seguini1 Numis. p. 178. Spanhem. 2 de Praest. Numism. Dissert. XIII. p. 639.,,Les Césars de Julien“ par Spanheim p. 48), als daß er sie durch einen wißigen3 Einfall in ein Werk bringen will, in welchem sie ganz gewiß 10 nicht sind. Er sagt in seinem „Polymetis“ (Dial. XVI. p. 272): „Obschon die Furien in den Werken der alten Künstler etwas sehr Seltenes sind, so findet sich doch eine Geschichte, in der sie durchgängig von ihnen angebracht werden. Ich meine den Tod des Meleager, als in dessen Vorstellung auf Basreliefs sie öfters die Althäa aufmuntern und antreiben, den unglücklichen Brand, von 15 welchem das Leben ihres einzigen Sohnes abhing, dem Feuer zu übergeben. Denn auch ein Weib würde in ihrer Rache so weit nicht gegangen sein, hätte der Teufel nicht ein wenig zugeschüret. In einem von diesen Basreliefs, bei dem Bellori 4 (in den,Admirandis'), sieht man zwei Weiber, die mit der Althäa am Altare stehen und allem Ansehen nach Furien sein sollen. Denn wer 20 sonst als Furien hätte einer solchen Handlung beiwohnen wollen? Daß sie für diesen Charakter nicht schrecklich genug sind, liegt ohne Zweifel an der Abzeichnung. Das Merkwürdigste aber auf diesem Werke ist die runde Scheibe unten gegen die Mitte, auf welcher sich offenbar der Kopf einer Furie zeiget. Vielleicht war es die Furie, an die Althäa, so oft sie eine üble Tat vornahm, 25 ihr Gebet richtete und vornehmlich ißt zu richten alle Ursache hatte 2c." Durch solche Wendungen kann man aus allem alles machen. „Wer sonst“, fragt Spence,,,als Furien hätte einer solchen Handlung beiwohnen wollen?" Ich antworte: Die Mägde der Althäa, welche das Feuer anzünden und unterhalten mußten. Ovid sagt (Metamorph. VIII. v. 460. 461.):

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Protulit hunc (stipitem) genitrix, taedasque in fragmina poni Imperat, et positis inimicos admovet ignes 5. Dergleichen taedas, lange Stücke von Kien, welche die Alten zu Fackeln brauchten, haben auch wirklich beide Personen in den Händen, und die eine hat eben ein solches Stück zerbrochen, wie ihre Stellung anzeigt. Auf der 35

beschrieb seine Reisen in 10 Büchern, die viele wichtige Mitteilungen über Kunstwerke enthalten. 1 Pierre Seguin (Seguinus), französischer Numismatiker des 17. Jahrhunderts. 2 Ezechiel Spanheim (1629–1710), Gelehrter, Diplomat und Numismatiker; seine erste Schrift auf dem letzten Gebiete find,,Les Césars de l'empereur Julien, traduits du grec" (Heidelberg 1660), seine berühmteste die ,,Dissertationes de praestantia et usu numismatum antiquorum" (Rom 1664). 3 Geistreichen. 4 Giovanni Pietro Bellori (1615-96), italienischer Archäolog, gab „Admiranda Romanarum antiquitatum ac veteris sculpturae vestigia“ (Rom 1693) heraus. 5,,Doch nun trug die Mutter ihn (den Pfahl) herbei, befahl, auf das Reisig Holzscheite zu legen, und brachte dann feindliche Flammen hinzu."

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Jammer ward in Betrübnis gemildert. Und wo diese Milderung nicht stattfinden konnte, wo die Betrübnis ebenso verkleinernd als der Jammer entstellend gewesen wäre was tat da Timanthes 3? Sein Gemälde von der Opferung der Iphigenia, 5 in welchem er allen Umstehenden den ihnen eigentümlich zukommenden Grad der Traurigkeit erteilte, das Gesicht des Vaters aber, welches den allerhöchsten hätte zeigen sollen, verhüllete, ist bekannt, und es sind viel artige Dinge darüber gesagt worden. Er hatte sich, sagt dieser*, in den traurigen Physiognomien so 10 erschöpft, daß er dem Vater eine noch traurigere geben zu können Scheibe, gegen die Mitte des Werks, erkenne ich die Furie ebensowenig. Es ist ein Gesicht, welches einen heftigen Schmerz ausdrückt. Ohne Zweifel soll es der Kopf des Meleagers selbst sein. (Metamorph. 1. c. v. 515.) Inscius atque absens flamma Meleagros in illa Uritur: et caecis torreri viscera sentit

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Ignibus: et magnos superat virtute dolores1.

Der Künstler brauchte ihn gleichsam zum Übergange in den folgenden Zeitpunkt der nämlichen Geschichte, welcher den sterbenden Meleager gleich darneben zeigt. Was Spence zu Furien macht, hält Montfaucon 2 für Parzen (Antiq. 20 expl. T. I. p. 162), den Kopf auf der Scheibe ausgenommen, den er gleichfalls für eine Furie ausgibt. Bellori selbst (Admirand. Tab. 77) läßt es unentschieden, ob es Parzen oder Furien sind. Ein Oder, welches genugsam zeiget, daß sie weder das eine noch das andere sind. Auch Montfaucons übrige Auslegung sollte genauer sein. Die Weibsperson, welche neben dem 25 Bette sich auf den Ellebogen stüßet, hätte er Kassandra und nicht Atalanta nennen sollen. Atalanta ist die, welche, mit dem Rücken gegen das Bett gekehret, in einer traurigen Stellung sizet. Der Künstler hat sie mit vielem Verstande von der Familie abgewendet, weil sie nur die Geliebte, nicht die Gemahlin des Meleagers war und ihre Betrübnis über ein Unglück, das sie 30 selbst unschuldigerweise veranlasset hatte, die Anverwandten erbittern mußte. *Plinius lib. XXXV. sect. 36. ,,Cum moestos pinxisset omnes, praecipue patruum, et tristitiae omnem imaginem consumpsisset, patris ipsius vultum velavit, quem digne non poterat ostendere 4."

1 „Ohne zu wissen, wird der fernstehende Meleager in den Flammen mit verbrannt, er fühlt, wie durch heimliche Gluten seine Eingeweide verbrannt werden und beherrscht mannhaft die gewaltigen Schmerzen.“ 2 Bernard de Montfaucon (1655-1741), französischer Altertumsforscher, angesehen vor allem durch sein hier und später angeführtes Hauptwert: „Antiquitas exploratione et schematibus illustrata" (Paris 1719, 10 Foliobände). 3 Der Maler Timanthes von der Insel Kythaos, Zeitgenosse des Zeuxis, war vor allem durch das hier erwähnte Gemälde berühmt. ,,Während er alle mit traurigem Ausdruck malte, zumal den Dheim, und alle Ausdrucksmöglichkeit des Leids erschöpft hatte, verschleierte er das Antlig des Vaters, dessen Kummer er nicht voll ausdrücken konnte.“

verzweifelte. Er bekannte dadurch, sagt jener *, daß der Schmerz eines Vaters bei dergleichen Vorfällen über allen Ausdruck sei. Ich für mein Teil sehe hier weder die Unvermögenheit des Künstlers noch die Unvermögenheit der Kunst. Mit dem Grade des Affekts verstärken sich auch die ihm entsprechenden Züge 5 des Gesichts; der höchste Grad hat die allerentschiedensten Züge, und nichts ist der Kunst leichter, als diese auszudrücken. Aber Timanthes kannte die Grenzen, welche die Grazien seiner Kunst sezen. Er wußte, daß sich der Jammer, welcher dem Agamemnon als Vater zukam, durch Verzerrungen äußert, die alle- 10 zeit häßlich sind. Soweit sich Schönheit und Würde mit dem Ausdrucke verbinden ließ, so weit trieb er ihn. Das Häßliche wäre er gern übergangen, hätte er gern gelindert; aber da ihm seine Komposition beides nicht erlaubte, was blieb ihm anders übrig, als es zu verhüllen? - Was er nicht malen durfte, ließ 15 er erraten. Kurz, diese Verhüllung ist ein Opfer, das der Künstler der Schönheit brachte. Sie ist ein Beispiel, nicht wie man den Ausdruck über die Schranken der Kunst treiben, sondern wie man ihn dem ersten Geseze der Kunst, dem Gefeße der Schönheit, unterwerfen soll.

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Und dieses nun auf den Laokoon angewendet, so ist die Ursache klar, die ich suche. Der Meister arbeitete auf die höchste Schönheit, unter den angenommenen Umständen des körperlichen Schmerzes. Dieser in aller seiner entstellenden Heftigfeit war mit jener nicht zu verbinden. Er mußte ihn also herab- 25 seßen; er mußte Schreien in Seufzen mildern; nicht weil das Schreien eine unedle Seele verrät, sondern weil es das Gesicht auf eine ekelhafte Weise verstellet3. Denn man reiße dem Laokoon in Gedanken nur den Mund auf, und urteile. Man lasse ihn schreien, und sehe. Es war eine Bildung, die Mitleid ein- so flößte, weil sie Schönheit und Schmerz zugleich zeigte; nun ist

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,,Summi moeroris acerbitatem arte exprimi non posse confessus est1." Valerius Maximus 2 lib. VIII. cap. 11.

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1,,Er bekannte, daß die höchste Bitterkeit des Schmerzes nicht dargestellt werden Lönnte." 2 Der römische Historiker Valerius Maximus verfaßte im 1. Jahrhundert n. Chr. „Factorum dictorumque memorabilium libri IX". 3 Entstellt.

es eine häßliche, eine abscheuliche Bildung geworden, von der man gern sein Gesicht verwendet, weil der Anblick des Schmerzes Unlust erregt, ohne daß die Schönheit des leidenden Gegenstandes diese Unlust in das füße Gefühl des Mitleids verwan5 deln kann.

Die bloße weite Öffnung des Mundes beiseite gesetzt, wie gewaltsam und ekel auch die übrigen Teile des Gesichts dadurch verzerret und verschoben werden ist in der Malerei ein Fleck und in der Bildhauerei eine Vertiefung, welche die 10 widrigste Wirkung von der Welt tut. Montfaucon1 bewies wenig Geschmack, als er einen alten bärtigen Kopf, mit aufgerissenem Munde, für einen Orakel erteilenden Jupiter ausgab*. Muß ein Gott schreien, wenn er die Zukunft eröffnet? Würde ein gefälliger Umriß des Mundes seine Rede verdächtig machen? 15 Auch glaube ich es dem Valerius2 nicht, daß Ajax in dem nur3 gedachten Gemälde des Timanthes sollte geschrieen haben**. Weit schlechtere Meister aus den Zeiten der schon verfallenen Kunst lassen auch nicht einmal die wildesten Barbaren, wenn sie unter dem Schwerte des Siegers Schrecken und Todesangst 20 ergreift, den Mund bis zum Schreien öffnen***

Es ist gewiß, daß diese Herabsetzung des äußersten körperlichen Schmerzes auf einen niedrigern Grad von Gefühl an mehrern alten Kunstwerken sichtbar gewesen. Der leidende Herkules in dem vergifteten Gewande, von der Hand eines alten 25 unbekannten Meisters, war nicht der Sophokleische, der so gräßlich schrie, daß die Lokrischen Felsen und die Euböischen Vor

* Antiquit. expl. T. I. p. 50. ** Er gibt nämlich die von dem Limanthes wirklich ausgedrückten Grade der Traurigkeit so an: „Calchantem tristem, moestum Ulyssem, clamantem Ajacem, lamentantem Mene30 laum 4." Der Schreier Ajax müßte eine häßliche Figur gewesen sein; und da weder Cicero noch Quintilian5 in ihren Beschreibungen dieses Gemäldes seiner gedenken, so werde ich ihn um soviel eher für einen Zusaß halten dürfen, mit dem es Valerius aus seinem Kopfe bereichern wollen. *** Bellorii Admiranda. Tab. 11. 12.

1 Vgl. S. 31 dieses Bandes, Anm. 2.

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2 Vgl. Anm. * auf S. 32 dieses Bandes. 3 Soeben. 4,Kalchas traurig, Ulysses betrübt, Ajax schreiend, Menelaus wehflagend." 5 Duintilian, „Institutio oratoria“, 2. Buch, Kap. 13, § 12. - 6 Leffing spielt auf die Reliefs der Dazier am Konstantinbogen in Nom an.

Leffing. IV.

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