Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

bild seine Phantasie befeuert hätte, und die alsdann gewiß besser gewesen wären, als was er uns ißt dafür gibt:

Bis medium amplexi, bis collo squamea circum

Terga dati, superant capite et cervicibus altis.

5 Diese Züge füllen unsere Einbildungskraft allerdings; aber sie muß nicht dabei verweilen, sie muß sie nicht aufs reine zu bringen suchen, sie muß ißt nur die Schlangen, ißt nur den Laokoon sehen, sie muß sich nicht vorstellen wollen, welche Figur beide zusammen machen. Sobald sie hierauf verfällt, fängt ihr das 10 Virgilische Bild an zu mißfallen, und sie findet es höchst unmalerisch.

Wären aber auch schon die Veränderungen, welche Virgil mit dem ihm geliehenen Vorbilde gemacht hätte, nicht unglücklich, so wären sie doch bloß willkürlich. Man ahmet nach, um 15 ähnlich zu werden; kann man aber ähnlich werden, wenn man über die Not verändert? Vielmehr, wenn man dieses tut, ist der Vorsaz klar, daß man nicht ähnlich werden wollen, daß man also nicht nachgeahmet habe.

Nicht das Ganze, könnte man einwenden, aber wohl diesen 20 und jenen Teil. Gut; doch welches sind denn diese einzeln Teile, die in der Beschreibung und in dem Kunstwerke so genau übereinstimmen, daß sie der Dichter aus diesem entlehnet zu haben scheinen könnte? Den Vater, die Kinder, die Schlangen, das alles gab dem Dichter sowohl als dem Artisten die Ge25 schichte. Außer dem Historischen kommen sie in nichts überein als darin, daß sie Kinder und Vater in einen einzigen Schlangenfnoten verstricken. Allein der Einfall hierzu entsprang aus dem veränderten historischen Umstande, daß den Vater ebendasselbe Unglück betroffen habe als die Kinder. Diese Veränderung 30 aber, wie oben erwähnt worden, scheinet Virgil gemacht zu haben; denn die griechische Tradition sagt ganz etwas anders. Folglich, wenn in Ansehung jener gemeinschaftlichen Verstrickung auf einer oder der andern Seite Nachahmung sein soll, so ist sie wahrscheinlicher auf der Seite der Künstler als 85 des Dichters zu vermuten. In allem übrigen weicht einer von dem andern ab; nur mit dem Unterschiede, daß, wenn es der Künstler ist, der die Abweichungen gemacht hat, der Vorsaß,

den Dichter nachzuahmen, noch dabei bestehen kann, indem ihn die Bestimmung und die Schranken seiner Kunst dazu nötigten; ist es hingegen der Dichter, welcher dem Künstler nachgeahmet haben soll, so sind alle die berührten Abweichungen ein Beweis wider diese vermeintliche Nachahmung, und diejenigen, welche sie demohngeachtet behaupten, können weiter nichts damit wollen, als daß das Kunstwerk älter sei als die poetische Beschreibung.

VII.

Wenn man sagt, der Künstler ahme dem Dichter, oder der 10 Dichter ahme dem Künstler nach, so kann dieses zweierlei bedeuten. Entweder der eine macht das Werk des andern zu dem wirklichen Gegenstande seiner Nachahmung, oder sie haben beide einerlei Gegenstände der Nachahmung und der eine entlehnet von dem andern die Art und Weise es nachzuahmen.

15

Wenn Virgil das Schild des Aneas beschreibet, so ahmet er dem Künstler, welcher dieses Schild gemacht hat, in der ersten Bedeutung nach. Das Kunstwerk, nicht das, was auf dem Kunstwerke vorgestellet worden, ist der Gegenstand seiner Nachahmung; und wenn er auch schon das mit beschreibt, was man 20 darauf vorgestellet sieht, so beschreibt er es doch nur als ein Teil des Schildes und nicht als die Sache selbst. Wenn Virgil hingegen die Gruppe Laokoon nachgeahmet hätte, so würde dieses eine Nachahmung von der zweiten Gattung sein. Denn er würde nicht diese Gruppe, sondern das, was diese Gruppe vor- 25 stellet, nachgeahmet und nur die Züge seiner Nachahmung von ihr entlehnt haben.

Bei der ersten Nachahmung ist der Dichter Original, bei der andern ist er Kopist. Jene ist ein Teil der allgemeinen Nachahmung, welche das Wesen seiner Kunst ausmacht, und 80 er arbeitet als Genie, sein Vorwurf mag ein Werk anderer Künste oder der Natur sein. Diese hingegen seht ihn gänzlich von seiner Würde herab; anstatt der Dinge selbst ahmet er ihre Nachahmungen nach und gibt uns kalte Erinnerungen von Zügen eines fremden Genies für1 ursprüngliche Züge seines eigenen. 85

1 Anstatt

Wenn indes Dichter und Künstler diejenigen Gegenstände, die sie miteinander gemein haben, nicht selten aus dem nämlichen Gesichtspunkte betrachten müssen, so kann es nicht fehlen, daß ihre Nachahmungen nicht in vielen Stücken übereinstimmen 3 sollten, ohne daß zwischen ihnen selbst die geringste Nachahmung oder Beeiferung gewesen. Diese Übereinstimmungen können bei zeitverwandten Künstlern und Dichtern über Dinge, welche nicht mehr vorhanden sind, zu wechselsweisen Erläuterungen führen; allein dergleichen Erläuterungen dadurch aufzustußen 10 suchen, daß man aus dem Zufalle Vorsaß macht und besonders dem Poeten bei jeder Kleinigkeit ein Augenmerk auf diese Statue oder auf jenes Gemälde andichtet, heißt ihm einen sehr zweideutigen Dienst erweisen. Und nicht allein ihm, sondern auch dem Leser, dem man die schönste Stelle dadurch, wenn 15 Gott will, sehr deutlich, aber auch trefflich frostig macht.

Dieses ist die Absicht und der Fehler eines berühmten englischen Werks. Spence2 schrieb seinen „Polymetis"* mit vieler Hlassischen Gelehrsamkeit und in einer sehr vertrauten Bekanntschaft mit den übergebliebenen Werken der alten Kunst. Seinen 20 Vorsaß, aus diesen die römischen Dichter zu erklären und aus den Dichtern hinwiederum Aufschlüsse für noch unerklärte alte Kunstwerke herzuholen, hat er öfters glücklich erreicht. Aber demohngeachtet behaupte ich, daß sein Buch für jeden Leser von Geschmack ein ganz unerträgliches Buch sein muß.

25

Es ist natürlich, daß, wenn Valerius Flaccus den geflügelten Bliz auf den römischen Schilden beschreibet,

(Nec primus radios, miles Romane, corusci

Fulminis et rutilas scutis diffuderis alas1)

* Die erste Ausgabe ist von 1747, die zweite von 1755 und führet den 30 Titel:,,Polymetis, or an Enquiry concerning the Agreement between the Works of the Roman Poets, and the Romains of the ancient Artists, being an Attempt to illustrate them mutually from one another. In ten Books, by the Revd. Mr. Spence. London, printed for Dodsley. fol." Auch ein Auszug, welchen N. Tindal aus diesem Werke gemacht hat, 35 ist bereits mehr als einmal gedruckt worden.

8 C. Balerius

4,,Und

1 Wetteifer. 2 Joseph Spence, 1699-1768. Flaccus, gest. um 90 n. Chr., Verfasser des Epos „Argonautica“. du, o römischer Krieger, hast nicht als der erste die Strahlen des funkelnden Bliges und die rötlichen Flügel auf deinen Schilben geführt.“

mir diese Beschreibung weit deutlicher wird, wenn ich die Ab-
bildung eines solchen Schildes auf einem alten Denkmale er-
blicke*. Es kann sein, daß Mars in eben der schwebenden Stel-
lung, in welcher ihn Addison1 über der Rhea auf einer Münze
zu sehen glaubte**, auch von den alten Waffenschmieden auf 5
* Val. Flaccus lib. VI. v. 55. 56.,,Polymetis", Dial. VI., p. 50. -
**Ich sage: es kann sein. Doch wollte ich zehne gegen eins wetten, daß
es nicht ist. Juvenal redet von den ersten Zeiten der Republik, als man
noch von teiner Pracht und üppigkeit wußte und der Soldat das erbeutete
Gold und Silber nur auf das Geschirr feines Pferdes und auf seine Waffen 10
berwandte. (Sat. XI. v. 100-107.):

Tunc rudis et Grajas mirari nescius artes
Urbibus eversis praedarum in parte reperta
Magnorum artificum frangebat pocula miles,
Ut phaleris gauderet equus, caelataque cassis
Romuleae simulacra ferae mansuescere jussae
Imperii fato, geminos sub rupe Quirinos,

Ac nudam effigiem clypeo fulgentis et hasta,
Pendentisque dei perituro ostenderet hosti 2.

15

Der Soldat zerbrach die kostbarsten Becher, die Meisterstücke großer Künstler, 20 um eine Wölfin, einen kleinen Romulus und Remus daraus arbeiten zu lassen, womit er seinen Helm ausschmückte. Alles ist verständlich bis auf die leßten zwei Zeilen, in welchen der Dichter fortfährt, noch ein solches getriebenes Bild auf den Helmen der alten Soldaten zu beschreiben. Soviel sieht man wohl, daß dieses Bild der Gott Mars sein soll; aber was soll das Beiwort pen- 25 dentis, welches er ihm gibt, bedeuten? Rigaltius fand eine alte Glosse, die es durch quasi ad ictum se inclinantis 3 erklärt. Lubinus meinet, das Bild sei auf dem Schilde gewesen, und da das Schild an dem Arme hänge, so habe der Dichter auch das Bild hängend nennen können. Allein dieses ist wider die Konstruktion; denn das zu ostenderet gehörige Subjectum ist nicht miles, sondern 30 cassis. Britannicus1 will, alles, was hoch in der Luft stehe, könne hangend

1 Joseph Addison (1672-1719), der spätere Herausgeber des ,,Spectator", unternahm 1699-1703 eine Reise nach Italien, die er mit Anführung zahlreicher antiker Autoren über alle von ihm besuchte Orte beschrieb. Unter seinen zahlreichen Werken werden im „Laokoon“ die „Gespräche über die Münzen“ (1702) angegriffen. 2,Damals zerbrach der Soldat, roh und unkundig griechischer Kunst, die Becher großer Künstler, die er in seinem Anteil an der Beute vernichteter Städte fand, um se.n Roß zu schmücken, und um seine Helmzier jene Wölfin des Romulus in getriebener Arbeit zieren zu lassen, die sich zum Schicksalsverlauf des Reiches zahm zeigen mußte, und die Brüder Romulus und Remus unter dem Felsen, und um dem Feinde, der zugrunde gehen soll, das nackte Bild des Gottes mit Schild und Lanze, wie er strahlend vom Himmel herabschwebt, zu zeigen.“. 8 „Der sich gleichsam zum Schlage beugt.“ – 4 Nigaltius (Nicolaus Rigault; 1577-1654), französischer Gelehrter; Lubinus (Eilhard Lubin; 1565-1621), Theologieprofeffor in Rostock; Britannicus (Gios vanni Britannico; gest. nach 1518), Juvenalerklärer.

den Helmen und Schilden vorgestellet wurde, und daß Juvenal einen solchen Helm oder Schild in Gedanken hatte, als er mit einem Worte darauf anspielte, welches bis auf den Addison ein Rätsel für alle Ausleger gewesen. Mich dünkt selbst, daß ich 5 heißen, und also auch dieses Bild über oder auf dem Helme. Einige wollen gar perdentis dafür lesen, um einen Gegensaß mit dem folgenden perituro zu machen, den aber nur sie allein schön finden dürften. Was sagt nun Addison bei dieser Ungewißheit? „Die Ausleger“, sagt er,„,irren sich alle, und die wahre Meinung ist ganz gewiß diese.“ (S. dessen „Reisen“, deutsche Übers., Seite 249.) 10,,Da die römischen Soldaten sich nicht wenig auf den Stifter und kriegerischen Geist ihrer Republik einbildeten, so waren sie gewohnt, auf ihren Helmen die erste Geschichte des Romulus zu tragen, wie er von einem Gotte erzeugt und von einer Wölfin gesäuget worden. Die Figur des Gottes war vorgestellt, wie er sich auf die Priesterin Jlia oder, wie sie andere nennen, Rhea Sylvia 15 herabläßt, und in diesem Herablassen schien sie über der Jungfrau in der Luft zu schweben, welches denn durch das Wort pendentis sehr eigentlich und poetisch ausgedruckt wird. Außer dem alten Basrelief beim Bellori1, welches mich zuerst auf diese Auslegung brachte, habe ich seitdem die nämliche Figur auf einer Münze gefunden, die unter der Zeit des Antoninus Pius geschlagen 20 worden.” — Da Spence diese Entdeckung des Addison so außerordentlich glücklich findet, daß er sie als ein Muster in ihrer Art und als das stärkste Beispiel anführet, wie nüzlich die Werke der alten Artisten zur Erklärung der klassischen römischen Dichter gebraucht werden können, so kann ich mich nicht enthalten, sie ein wenig genauer zu betrachten. (,,Polymetis", Dial. VII. p. 77.) Vors 25 erste muß ich anmerken, daß bloß das Basrelief und die Münze dem Addison wohl schwerlich die Stelle des Juvenals in die Gedanken gebracht haben würde, wenn er sich nicht zugleich erinnert hätte, bei dem alten Scholiasten, der in der legten ohn' einen Zeile anstatt fulgentis, venientis gefunden, die Glosse ge= lesen zu haben: „Martis ad Iliam venientis ut concumberet "". Nun nehme 30 man aber diese Lesart des Scholiasten nicht an, sondern man nehme die an, welche Addison selbst annimmt, und sage, ob man sodann die geringste Spur findet, daß der Dichter die Rhea in Gedanken gehabt habe? Man sage, ob es nicht ein wahres Hysteronproteron 4 von ihm sein würde, daß er von der Wölfin und den jungen Knaben rede und sodann erst von dem Abenteuer, dem sie 35 ihr Dasein zu danken haben? Die Rhea ist noch nicht Mutter, und die Kinder liegen schon unter dem Felsen. Man sage, ob eine Schäferstunde wohl ein schickliches Emblema auf dem Helme eines römischen Soldaten gewesen wäre? Der Soldat war auf den göttlichen Ursprung seines Stifters stolz; das zeigten die Wölfin und die Kinder genugsam; mußte er auch noch den Mars im Be40 griffe einer Handlung zeigen, in der er nichts weniger als der fürchterliche Mars war? Seine Überraschung der Rhea mag auf noch so viel alten Marmorn und Münzen zu finden sein: paßt sie darum auf das Stück einer Nüstung?

1 Vgl. S. 30 dieses Bandes, Anm. 4. 2 D. h. vorlegten. - 3,,Der Mars, ber zur Jlia (Rhea) kommt, um ihr betzuwohnen." 4 Umgelehrte Reihenfolge.

« ZurückWeiter »