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der Dichtung jener Zeit kritisch beseitigt. Was jedoch die Poesie im Einzelnen an Grenzgebiet verlieren mußte, gewann sie reichlich wieder im Ganzen und Großen, und man kann sich des Ge= dankens nicht erwehren, daß Les sing, welcher nur ganz unerhebliches von Sculpturwerken bis auf die Abfassung seines „Laokoon" gesehen haben konnte, hier eine „Rettung" der Poesie versuchen wollte. Guhrauer wird Recht haben, wenn er sagt: „Der leidenschaftlichen Begeisterung Winckelmanns und seines Kreises für die bildende Kunst sollte im Laokoon ein Gegengewicht entgegengestellt werden, damit die Poesie nach oft einseitiger Vergleichung mit der Plastik und Malerei, zu ihrem vollen Rechte gelange." Aber auch der Ausgangspunkt der ganzen Betrachtung giebt zu Bedenken Anlaß.

Der Gegensas, in welchen sich Lessing zu Winckelmann stellen will, ist in sich nicht ganz klar; gewiß aber, daß Lessing über diesen hinausgeschritten. Und hinausschreiten konnte. Denn Winckelmann ersparte die mühevolle und unmittelbar frische Erkenntniß der Kunst des Alterthums für seinen Nachfolger, so daß dieser, das concrete Kunstmaterial vorausseßend, ohne Weiteres an die reflectirende Untersuchung der Grundbegriffe gehen konnte.

Dagegen verdient der Gegensatz zu Winckelmann als ein in sich selbst nicht ganz klares Moment eine nähere Betrachtung. Winckelmann hatte das Schöne in seiner Schrift „Ueber die Nachahmung der Alten" als ein vierfaches aufgestellt, als das formale Naturschöne, als das idealisch Schöne in Haltung, als das Schöne der Gewandung und als viertes, die vorhergehenden Stufen ihrem Wesen nach zusammenfassendes, das Schöne des Ausdruckes. Diesem vindicirt er als Merkmale der griechischen Kunst edle Einfalt und stille Größe; unter allen Umständen ist für Winckelmann der Ausdruck an und für sich in der alten Kunst immer durch das Schöne begrenzt und darf nicht, wie das Moderne solches zuläßt oder fordert, um jeden Preis charakteristisch sein.

Man begreift zunächst nicht sogleich, wie sich Lessing in einen Gegensaß zu Winckelmann bezüglich dieses Punktes stellen konnte. In Winckelmanns Augen durfte „Laokoon“, der beim Dichter schreit, bildnerisch um deswillen nur seufzend dargestellt werden, weil der Schmerz als collidirend mit Einfachheit und stiller Größe,

sonst die Schönheit würde verlegt haben; bis an diese Grenze aber darf natürlich der Ausdruck gehen, so daß für Winckelmanns Anschauung von der alten Kunst Ausdruck und Schönheit gar keine Gegensäße bilden können. Unerheblich war, wenn beim Laokoon Winckelmann verneinte, daß das Schreien vor Schmerz mit einer großen Seele bestehen könnte.

Es war für Lessing leicht, dies zu erweisen; aber aus der Poesie. Es müsse, erwies er weiter, die Vermeidung von Darstellungen des äußersten Schmerz es in der bildenden Kunst einen anderen Grund haben, nämlich das Gefeß der Schönheit. Aber Winckelmann hatte die Schönheit des Ausdruckes als Correctiv der Schmerzdarstellung gesezt; scharf zugesehen seyt Lessing das niedere Moment der formalen Naturschönheit, also nur Eine Seite der von Winckelmann weiter gefaßten Schönheit, als das bestimmende. Aus diesem begrenzten Schönheits begriff ergeben sich alle Mängel der weiteren Lessing'schen Deductionen. Er übersieht das Naturschöne als Ganzes und findet das Schöne nur in der menschlichen Formenschönheit, so sehr in der Formenschönheit, daß ihm der Sinn für Farbe gar nicht aufgeht, sondern er sogar bezweifelt, ob für die Kunst als solche die Erfindung der Oelmalerei gut gewesen. Hier übersieht er die Grenzen der Plastik und der eigentlichen Malerei, welche ohne Erkenntniß der Bedeutung des Colorits gar nicht gefunden werden können: auf diesen Mangel hat schon Garve in der oben ausgezogenen Recension hingedeutet. Seine principielle Entwerthung des Häßlichen für die bildende Kunst verhindert, daß er in das Wesen der individualisirenden Charakteristik eindringe; für das Genre besißt er daher kein Verständniß; auch die Historienmalerei verwirft er.

Aber nicht aus dem bezeichneten Grunde allein, sondern noch aus einem tiefer liegenden, aber viel bedeutsameren. Lessing kennt noch nicht die bei dem Kunstwerk und bei allem Schönen mitwirkende Kraft der Phantasie des Hörers, Lesers und Beschauers, auf welche zuerst mit vollem Scharfsinn Fr. Vischer aufmerksam gemacht hat. Diese Phantasie ergänzt die Phantasie des schaffenden Künstlers; jene arbeitet mit dieser und kann daher auch die auseinanderliegenden Stücke der beschreibenden Poesie zu einem ein

heitlichen Bilde, zu einer Art Kunstwerk gestalten helfen. Hierdurch wird es psychologisch erklärlich, warum die Dichtkunst immer auch zu beschreiben versucht hat.

Diese Ausstellungen jedoch verschwinden durchaus vor der Größe des Werkes. Wenn dessen erster Theil auch erst 1788 eine neue vermehrte Ausgabe (deren alphabetisches Register sich, augenscheinlich später nachgeliefert, nur in wenigen Exemplaren findet) durch den Bruder des Verfassers erfuhr und von diesem selbst weder fortgesezt worden (was bis zu vielleicht drei Bänden geschehen sollte), noch auch in einer, durch die dazu vorhandene Vorrede bezeugten französischen Bearbeitung ausgegangen ist: so war die Wirkung des ebenso feinsinnigen als gelehrten, in überraschender dramatischer Lebendigkeit geschriebenen Werkes eine außerordentliche. Leider verstand ihn zunächst der Mann nicht, von dem man den vollgültigsten Urtheilsspruch hätte erwarten dürfen: Winckelmann selbst. Aber Goethe's begeisterte Worte, Garve's mit liebevoller Bedächtigkeit dem dialektischen Proceß nachgehende Recension vor Allen Herders bedeutende Besprechung, welche das erste anonym erschienene Bändchen seiner „Kritischen Wälder“ füllt, können als anerkennenswerthe Zeugnisse für das Verständniß der Zeitgenossen vom „Laokoon“ gelten. Insonderheit Herders Würdigung mit ihrem Tadel machte Eindruck auf Lessing. Manches, was Herder vermißte (z. B. eine Parallele der Poesie und Musik), hatte Lessing bereits in den Plan der Fortseßung gezogen; das Ganze machte den Eindruck einer Rechtfertigung Winckelmanns. Anziehend ist, wenn Herder neben Zeit und Raum noch die Kraft sezt und der legteren als specifische Kunst die Poesie zuweist, so daß der Zeit allein die Musik verbleibt.

Widerwärtig war die von Schmeicheleien überfließende Besprechung durch Kloß in den Acta litteraria; fleinlich unter end Tadlern Chr. G. von Murr mit seinen Anmerkungen“ (Erlangen 1769). Aber die Verjüngung unserer Nationalpoesie, welche mit dem fortschreitenden Verständniß des „Laokoon“ verknüpft war, bezeugte selbst die unvergängliche Bedeutung des Werkes.

Auf die poetische Theorie und Praxis unserer Nachbarvölker wirkte der „Laokoon“ weder früh noch tief. Zwar gab Vanderbourg 1802 eine französische Bearbeitung heraus; aber noch 1859

erschien in Paris eine Preisschrift: De la poésie descriptive von Castelnau, welcher Saint-René Taillandier unter Berufung auf den zweiten Theil des „Kosmos“ von A. v. Humboldt ein einführendes Vorwort mitgab.

Zur Würdigung des philosophischen Gehalts des „Laokoon“ vgl. man besonders das Programm von Bollmann „Ueber das Kunstprincip in Lessings Laokoon und dessen Begründung“ (Berlin 1852) und den betreffenden Abschnitt in dem Danzel - Guhrauer'schen Werke über Lessing; zur Einführung weiterer Kreise (besonders auch der Schulen) in das sprachliche und sachliche Verständniß des Buches „Lessings Laokoon, bearbeitet und erläutert von W. Cosack“ (Berlin 1869, zweite Auflage 1875) und „mit Erläuterungen versehen von I. Buschmann“ (Paderborn 1874). Die neuesten Discussionen über die Laokoongruppe (besonders seit A. Feuerbach) können Lessings Erörterungen nicht erheblich berühren.

Laokoon.

Ursprünglicher Entwurf

mit den

Anmerkungen Moses Mendelssohns und Nicolai's *).

*) Für diese Stücke ist neben Lachmanns Text die höchst verdienstliche Ausgabe in Hempels Nationalbibliothek benuzt worden, deren Anmerkungen selbst= verständlich mit den meinigen bei diesen Entwürfen geradezu zusammenfallen mußten. Lessing, Laokoon.

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