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Vorrede.

er Erste, welcher die Malerei und Poesie mit einander verglich, war ein Mann von feinem Gefühle, der von beiden Künsten eine ähnliche Wirkung auf sich verspürte. Beide, empfand er, stellen uns abwesende Dinge als gegenwärtig, den Schein als Wirklichkeit vor; beide täuschen, und beider Täuschung gefällt.

Ein Zweiter suchte in das Innere dieses Gefallens einzudringen und entdeckte, daß es bei beiden aus einerlei Quelle fließe. Die Schönheit, deren Begriff wir zuerst von körperlichen Gegenständen abziehen 1), hat allgemeine Regeln, die sich auf mehrere Dinge anwenden lassen; auf Handlungen, auf Gedanken sowohl als auf Formen.

Ein Dritter, welcher über den Werth und über die Vertheilung dieser allgemeinen Regeln nachdachte, bemerkte, daß einige mehr in der Malerei, andere mehr in der Poesie herrschten; daß also bei diesen die Poesie der Malerei, bei jenen die Malerei der Poesie mit Erläuterungen und Beispielen aushelfen könne.

1) In dem besonders durch Leibniz gebräuchlich gewordenen Sinne von „,abstrahiren". So sagt Lessing,,Erziehung des Menschengeschlechts", § 16:,,ungeschickt zu abgezogenen Gedanken". Das noch bei Herder, Kant, Goethe u. A. vorkommende Wort scheint hauptsächlich durch den Sprachgebrauch der Hegelschen Philosophie verdrängt worden zu sein.

Das Erste war der Liebhaber; das Zweite der Philosoph; das Dritte der Kunstrichter.

Jene beiden konnten nicht leicht, weder von ihrem Gefühl, noch von ihren Schlüffen, einen unrechten Gebrauch machen. Hingegen bei den Bemerkungen des Kunstrichters beruht das Meiste in der Richtigkeit der Anwendung auf den einzelnen Fall; und es wäre ein Wunder, da es gegen Einen scharfsinnigen Kunstrichter fünfzig wißige 2) gegeben hat, wenn diese Anwendung jederzeit mit aller der Vorsicht wäre gemacht worden, welche die Wage zwischen beiden Künsten gleich erhalten muß.

Falls Apelles und Protogenes in ihren verlornen Schriften von der Malerei die Regeln derselben durch die bereits festgeseßten Regeln der Poesie bestätigt und erläutert haben, so darf man sicherlich glauben, daß es mit der Mäßigung und Genauigkeit wird geschehen sein, mit welcher wir noch jezt den Aristoteles, Cicero, Horaz, Quintilian in ihren Werken die Grundsäße und Erfahrungen der Malerei auf die Beredtsamkeit und Dichtkunst anwenden sehen. Es ist das Vorrecht der Alten, keiner Sache weder zu viel noch zu wenig zu thun.

Aber wir Neuern haben in mehrern Stücken geglaubt, uns weit über sie wegzusehen, wenn wir ihre kleinen Luftwege in Landstraßen verwandelten; sollten auch die kürzern und sicherern Landstraßen darüber zu Pfaden eingehen, wie sie durch Wildnisse führen.

Die blendende Antithese des griechischen Voltaire3), daß die Malerei eine stumme Poesie, und die Poesie eine redende Malerei sei, stand wohl in keinem Lehrbuche. Es war ein Einfall, wie Simonides mehrere hatte, dessen wahrer Theil so einleuchtend ist, daß man das Unbestimmte und Falsche, welches er mit sich führt, übersehen zu müssen glaubt.

Gleichwohl übersahen es die Alten nicht. Sondern indem sie

2) Wie,,Wiz" entsprechend dem engl. wit s. v. a. erfinderisches, geistreiches Wesen bedeutet: so,,wizig“ s. v. a. geistreich.

3) Simonides von Keos (gest. 469 v. Chr.), ausgezeichneter Lyriker und geist= voller, vielseitiger Mensch, that obigen Ausspruch, den Plutarchus in seiner frag= mentarischen Schrift,,Ob die Athener berühmter waren u. s. w.", Cap. 3, erhalten hat. Er klingt nachher oft wieder; das Horazische,,Ut pictura poesis" (Brief an die Pisonen, V. 361) faßt ihn in die kürzeste Formel zusammen.

den Ausspruch des Simonides auf die Wirkung der beiden Künste einschränkten, vergaßen sie nicht einzuschärfen, daß ohngeachtet der vollkommenen Aehnlichkeit dieser Wirkung, sie dennoch, sowohl in den Gegenständen als in der Art ihrer Nachahmung (Yay xαi τooπOIS μunoεws) verschieden wären.

Völlig aber, als ob sich gar keine solche Verschiedenheit fände, haben viele der neuesten Kunstrichter aus jener Uebereinstimmung der Malerei und Poesie die crudesten 4) Dinge von der Welt geschlossen. Bald zwingen sie die Poesie in die engern Schranken der Malerei, bald lassen sie die Malerei die ganze weite Sphäre der Poesie füllen. Alles was der einen Recht ist, soll auch der andern vergönnt sein; Alles, was in der einen gefällt oder mißfällt, soll nothwendig auch in der andern gefallen oder mißfallen; und voll von dieser Idee, sprechen sie in dem zuversichtlichsten Tone die seichtesten Urtheile, wenn sie, in den Werken des Dichters und Malers über einerlei Vorwurf 5), die darin bemerkten Abweichungen von einander zu Fehlern machen, die sie dem einen oder dem andern, nachdem sie entweder mehr Geschmack an der Dichtkunst oder an der Malerei haben, zur Last legen.

Ja diese Afterkritik hat zum Theil die Virtuosen selbst verführt. Sie hat in der Poesie die Schilderungssucht, und in der Malerei die Allegoristerei erzeugt, indem man jene zu einem redenden Gemälde machen wollen, ohne eigentlich zu wissen, was sie malen könne und solle, und diese zu einem stummen Gedichte, ohne überlegt zu haben, in welchem Maße sie allgemeine Begriffe ausdrücken könne, ohne sich von ihrer Bestimmung zu entfernen und zu einer willkürlichen Schriftart zu werden.

Diesem falschen Geschmacke und jenen ungegründeten. Urtheilen entgegen zu arbeiten, ist die vornehmste Absicht folgender Auffäge.

Sie sind zufälligerweise entstanden und mehr nach der Folge meiner Lectüre, als durch die methodische Entwickelung allgemeiner

4) s. v. a. rohesten; Goethe braucht das dem latein. Adjectiv crudus ent= lehnte Wort als Gegensah von „zart“.

5) Wie in,,Emilia Galotti“, Act 1, Sc. 4 (,,Ich wünschte, Conti, Jhre Kunst in andern Vorwürfen zu bewundern“) s. v. a. Gegenstand, wofür Brookes dem fremden,,Object“ noch entsprechender,,Gegenwurf“ sagt.

Grundsäge angewachsen. Es sind also mehr unordentliche Collectanea zu einem Buche, als ein Buch.

Doch schmeichle ich mir, daß sie auch als solche nicht ganz zu verachten sein werden. An systematischen Büchern haben wir Deutschen überhaupt keinen Mangel. Aus ein paar angenommenen Worterklärungen in der schönsten Ordnung Alles, was wir nur wollen, herzuleiten, darauf verstehen wir uns, troß einer Nation in der Welt.

Baumgarten 6) bekannte, einen großen Theil der Beispiele in seiner Aesthetik Gesners Wörterbuche 7) schuldig zu sein. Wenn mein Raisonnement nicht so bündig ist als das Baumgartensche, so werden doch meine Beispiele mehr nach der Quelle schmecken. 8)

Da ich von dem Laokoon gleichsam ausseßte) und mehrmals auf ihn zurückkomme, so habe ich ihm auch einen Antheil an der Aufschrift lassen wollen. Andere kleine Ausschweifungen 1o) über verschiedene Punkte der alten Kunstgeschichte tragen weniger zu meiner Absicht bei, und sie stehen nur da, weil ich ihnen niemals einen bessern Plaz zu geben hoffen kann.

Noch erinnere ich, daß ich unter dem Namen der Malerei die bildenden Künste überhaupt begreife; so wie ich nicht dafür stehe, daß ich nicht unter dem Namen der Poesie auch auf die übrigen Künste, deren Nachahmung fortschreitend ist, einige Rücksicht nehmen dürfte.

6) Alexander Gottlieb Baumgarten (geb. in Berlin 1714, gest. 1762 in Frankfurt a. D. als ord. Professor), nach dessen Vorlesungen Georg Friedrich Meier (geb. in Ammendorf bei Halle a. S. 1718, gest. 1777 in Halle als ord. Professor) durch Veröffentlichung der,,Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften“ (Halle 1748-50, in 3 Bänden) die Aesthetik begründen half, denen Baumgartens eigene,,Aesthetica" (Frankfurt a. D., 1750-58, in 2 Bänden) erst folgte.

7) Novus linguae et eruditionis romanae thesaurus (Leipzig 1749, 4 Theile in Folio) von Joh. Matthias Gesner (aus Nürnberg, geb. 1691, gest. 1761 als Professor in Göttingen).

8) Nicht aus secundären Hilfsmitteln abgeleitet sein.

9) S. v. a. ausgehe, aber von Lessing noch als bildlich empfunden, daher ,,gleichsam“. An das Aussehen beim Spiel oder Reiten ist jedoch nicht zu denken.

10) So im,,Leben des Sophokles“ K, Anmerkung gg:,,eine kleine Ausschweifung“ über ein Gleichniß bei Homer: ein der Sprache des achtzehnten Jahrhunderts geläufiger Ausdruck für das lat.,,Excurs“, jezt weniger üblich neben dem begrifflich etwas anders gewendeten,,Abschweifung“.

11) Sonst consecutiv (vgl. unten Cap. 16), der Gegensaß zu coexistirend.

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