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ihm zu arbeiten. Auf diesem Punkte, meine ich, müßte man bestehen, wenn man den Marliani und Montfaucon vertheidigen wollte. Virgil ist der erste und einzige f), welcher sowohl Vater

f) Ich erinnere mich, daß man das Gemälde hierwider anführen könnte, welches Eumolp bei dem Petron auslegt 6). Es stellte die Zerstörung von Troja und besonders die Geschichte des Laokoon, vollkommen so vor, als sie Virgil erzählt; und da in der nämlichen Galerie zu Neapel, in der es stand, andere alte Gemälde von Zeuxis, Protogenes, Apelles waren, so ließe sich vermuthen, daß es gleichfalls ein altes griechisches Gemälde gewesen sei. Allein man erlaube mir, einen Romandichter für keinen Historicus halten zu dürfen. Diese Galerie und dieses Gemälde und dieser Eumolp haben, allem Ansehen nach, nirgends als in der Phantasie des Petrons existirt. Nichts verräth ihre gänzliche Erdichtung deutlicher als die offenbaren Spuren einer beinahe schülermäßigen Nachahmung der Virgilischen Beschreibung. Es wird sich der Mühe verlohnen, die Vergleichung anzustellen. So Virgil (Aeneid. lib. II, 199-224):

Hic aliud majus miseris multoque tremendum
Objicitur magis, atque improvida pectora turbat.
Laocoon, ductus Neptuno sorte sacerdos,
Sollemnis taurum ingentem mactabat ad aras.
Ecce autem gemini a Tenedo tranquilla per alta
(Horresco referens) immensis orbibus angues
Incumbunt pelago, pariterque ad litora tendunt:
Pectora quorum inter fluctus arrecta, jubaeque
Sanguineae exsuperant undas: pars cetera pontum
Pone legit. sinuatque immensa volumine terga.
Fit sonitus, spumante salo: jamque arva tenebant,
Ardentesque oculos suffecti sanguine et igni
Sibila lambebant linguis vibrantibus ora.
Diffugimus visu exsangues. Illi agmine certo
Laocoonta petunt, et primum parva duorum
Corpora natorum serpens amplexus uterque
Implicat, et miseros morsu depascitur artus.
Post ipsum, auxilio subeuntem ac tela ferentem,
Corripiunt, spirisque ligant ingentibus: et jam
Bis medium amplexi, bis collo squamea circum
Terga dati, superant capite et cervicibus altis.
Ille simul manibus tendit divellere nodos,
Perfusus sanie vittas atroque veneno:
Clamores simul horrendos ad sidera tollit.
Quales mugitus, fugit cum saucius aram

Taurus et incertam excussit cervice securim.

Und so Eumolp (von dem man sagen könnte, daß es ihm wie allen Poeten aus dem Stegreife ergangen sei; ihr Gedächtniß hat immer an ihren Versen ebenso viel Antheil als ihre Einbildung):

Ecce alia monstra. Celsa qua Tenedos mare

Dorso repellit, tumida consurgunt freta,

6) Die Figur dieses Dichters mit seinem epischen Versuch über die Einnahme Troja's ist von Petronius (der doch wohl dem Neronischen Zeitalter angehörte) durchaus erfunden, um einen ebenso eiteln als albernen Poeten zu repräsentiren. Lessings Urtheil ist daher vollständig berechtigt.

als Kinder von den Schlangen umbringen läßt; die Bildhauer thun dieses gleichfalls, da sie es doch als Griechen nicht hätten thun

Undaque resultat scissa tranquillo minor.
Qualis silenti nocte remorum sonus
Longe refertur, cum premunt classes mare,
Pulsumque marmor abiete imposita gemit.
Respicimus, angues orbibus geminis ferunt
Ad saxa fluctus: tumida quorum pectora
Rates ut altae, lateribus spumas agunt:
Dat cauda sonitum; liberae ponto jubae
Coruscant luminibus, fulmineum jubar
Incendit aequor, sibilisque undae tremunt.
Stupuere mentes. Infulis stabant sacri
Phrygioque cultu gemina nati pignora
Laocoonte, quos repente tergoribus ligant
Angues corusci: parvulas illi manus
Ad ora referunt: neuter auxilio sibi,
Uterque fratri transtulit pias vices,

Morsque ipsa miseros mutuo perdit metu.
Accumulat ecce liberûm funus Parens,
Infirmus auxiliator; invadunt virum

Jau morte pasti, membraque ad terram trahunt.
Jacet sacerdos inter aras victima.

Die Hauptzüge sind in beiden Stellen ebendieselben, und Verschiedenes ist mit den nämlichen Worten ausgedrückt. Doch das sind Kleinigkeiten, die von selbst in die Augen fallen. Es giebt andere Kennzeichen der Nachahmung, die feiner, aber nicht weniger sicher sind. Ist der Nachahmer ein Mann, der sich etwas zutraut, so ahmt er selten nach, ohne verschönern zu wollen; und wenn ihm dieses Verschönern, nach seiner Meinung, geglückt ist, so ist er Fuchs genug, seine Fußtapfen, die den Weg, welchen er hergekommen, verrathen würden, mit dem Schwanze zuzukehren. Aber eben diese eitle Begierde, zu verschönern, und diese Behutsamkeit, Original zu scheinen, entdeckt ihn. Denn sein Verschönern ist nichts als Uebertreibung und unnatürliches Raffiniren. Virgil sagt: sanguineae jubae; Petron: liberae jubae luminibus coruscant. Virgil: ardentes oculos suffecti sanguine et igni; Petron: fulmineum jubar incendit aequor. Virgil: fit sonitus spumante salo; Petron: sibilis undae tremunt. So geht der Nachahmer immer aus dem Großen ins Ungeheure, aus dem Wunderbaren ins Unmögliche. Die von den Schlangen umwundenen Knaben sind dem Virgil ein Parergon, das er mit wenigen bedeutenden Strichen hinseßt, in welchen man nichts als ihr Unvermögen und ihren Jammer erkennt. Petron malt dieses Nebenwerk aus, und macht aus den Knaben ein Paar heldenmüthige Seelen, neuter auxilio sibi

Uterque fratri transtulit pias vices

Morsque ipsa miseros mutuo perdit metu.

Wer erwartet von Menschen, von Kindern, diese Selbstverleugnung. Wie viel besser kannte der Grieche die Natur (Quintus Calaber lib. XII, v. 459–461), welcher bei Erscheinung der schrecklichen Schlangen sogar die Mütter ihrer Kinder vergessen läßt, so sehr war Jedes nur auf seine eigene Erhaltung bedacht.

ένθα γυναίκες

Οίμωζον, και που τις ἑων ἐπελησατο τεκνων,
Αὐτη ἀλευομενη στυγερον μορον

sollen: also ist es wahrscheinlich, daß sie es auf Veranlassung des Virgils gethan haben.

Ich empfinde sehr wohl, wie viel dieser Wahrscheinlichkeit zur historischen Gewißheit mangelt. Aber da ich auch nichts Historisches weiter daraus schließen will, so glaube ich wenigstens, daß man sie als eine Hypothesis kann gelten lassen, nach welcher der Kritikus seine Betrachtungen anstellen darf. Bewiesen oder nicht bewiesen, daß die Bildhauer dem Virgil nachgearbeitet haben; ich will es bloß annehmen, um zu sehen, wie sie ihm sodann nachgearbeitet hätten. Ueber das Geschrei habe ich mich schon erklärt. Vielleicht, daß mich die weitere Vergleichung auf nicht weniger unterrichtende Bemerkungen leitet.

Der Einfall, den Vater mit seinen beiden Söhnen durch die mörderischen Schlangen in einen Knoten zu schürzen, ist unstreitig ein sehr glücklicher Einfall, der von einer ungemein malerischen Phantasie zeuget. Wem gehört er? Dem Dichter oder den KünstIern? Montfaucon will ihn bei dem Dichter nicht finden. g) Aber ich meine, Montfaucon hat den Dichter nicht aufmerksam genug gelesen.

illi agmine certo

Laocoonta petunt, et primum parva duorum

Zu verbergen sucht sich der Nachahmer gemeiniglich dadurch, daß er den Gegenständen eine andere Beleuchtung giebt, die Schatten des Originals heraus- und die Lichter zurücktreibt. Virgil giebt sich Mühe, die Größe der Schlangen recht sichtbar zu machen, weil von dieser Größe die Wahrscheinlichkeit der folgenden Erscheinung abhängt; das Geräusch, welches sie verursachen, ist nur eine Nebenidee und bestimmt, den Begriff der Größe auch dadurch lebhafter zu machen. Petron hingegen macht diese Nebenidee zur Hauptsache, beschreibt das Geräusch mit aller möglichen Ueppigkeit und vergißt die Schilderung der Größe so sehr, daß wir sie nur fast aus dem Geräusche schließen müssen. Es ist schwerlich zu glauben, daß er in diese Unschicklichkeit verfallen wäre, wenn er bloß aus seiner Einbildung ge= schildert und kein Muster vor sich gehabt hätte, dem er nachzeichnen, dem er aber nachgezeichnet zu haben, nicht verrathen wollen. So kann man zuverlässig jedes poetische Gemälde, das in kleinen Zügen überladen und in den großen fehlerhaft ist, für eine verunglückte Nachahmung halten, es mag sonst so viele kleine Schönheiten haben als es will, und das Original mag sich lassen angeben können oder nicht.

g) Suppl. aux Antiq. Expl. T. I, p. 243. Il y a quelque petite différence entre ce que dit Virgile, et ce que le marbre représente. Il semble, selon ce que dit le poète, que les serpens quittèrent les deux enfans pour venir entortiller le pêre, au lieu que dans ce marbre ils lient en même tems les enfans et leur père.

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