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Hauch des Frühlings grünenden Gefilde in ihm das Gefühl des von einer Gattung Malerei, die man die monumentale nennt, und Lebens und die Hinneigung zur Erde wieder mächtiger erweckt haben, von denen das eine die Façade einer italiänischen Kathedrale, das diesem erscheint Mephistopheles. Der Geist ist vorbereitet, der Ver- andere ein gothisches Kirchenfenster darstellt. Indem beide in dreizehn sucher ist furchtbar. Mephistopheles! Die verkörperte Idee der Ver- Abtheilungen getheilt sind, bieten sie in diesen die hervorragendsten neinung, der Ironie, der niedrigen Instinkte, jenes brutalen Materia- Scenen und, so zu sagen, die Hauptmomente in der Entwickelung lismus, nach dem hohe und stolze Seelen, wie die des Faust, in der Handlung dar, während den kleinen Räumen und dem Theile der mächtigem Drange hingezogen werden, wenn sie, das wahre Absolute architektonischen Verzierung das vorbehalten ist, was die Natur für suchend, den Zweifel am Grunde jeglichen Dinges finden, wenn sie, weniger wesentlich, aber zu einer vollständigen Darstellung doch für in's Unermeßliche strebend, an die Gränze stoßen. Diese Anziehung, nöthig hielt. Die wohl verstandene Vertheilung von Licht und Schatten ähnlich derjenigen, die der Mensch vor dem Abgrunde oder dem dient nicht nur dazu, das, was sich am besten dafür schickt, hervor. Strudel des tiefen Waffers fühlt, ist die einzige Macht der Ver- stechen zu lassen oder im Dunklen zu halten, sondern auch besonders führung, der einzige Zauber, den Mephistopheles in sich hat, der sonst dazu, die verschiedenen Theile des Gemäldes mit einander zu verso häßlich und widrig ist mit seinem Pferdefuße, mit seinem spötti- binden und ihnen Einheit zu geben, indem er so jede mögliche Aehnschen Hohnlächeln gegen alles Großherzige und Heilige, mit seiner lichkeit mit den mit historischen Bildern verzierten Tapeten beseitigt und höllischen Bereitwilligkeit zu jeglichem Werke der Vernichtung; ein hiermit bewirkt wird, daß das Auge mit einem Blick auf die Leinwand abscheuliches Gemisch von Mensch, Dämon und vernunftlofem Thier. die Idee der beiden Gedichte sowohl in ihrer reichen Mannigfaltigkeit Dieser böse Geist, der höchste Gegensaß des Danteschen Virgil, ver wie in ihrem innersten Zusammenhange erfaßt. Es ist nicht meine führt Faust, läßt ihn mit seinem Blute einen Verdammungsvertrag Absicht, auf eine Beschreibung dieser Gemälde einzugehen; was übriunterschreiben, indem er ihm dafür das füße Leben verspricht; und wie gens schon bezüglich der ,,Göttlichen Komödie" in vortrefflicher Weise Virgil Dante zur Reinigung führt und in die Regionen des Geistes von dem berühmten, Pater Giuliani gethan worden ist, und eine hinhinaufsteigen läßt, so zieht er dagegen den Doktor mit sich fort zum länglich ins Einzelne gehende Beschreibung von dem einen wie von Verderben in der Wolluft, zur Vernichtung in der Materie. Dies dem andern findet sich in einer der legten Nummern des florentiniwenigstens ist die Absicht des Mephistopheles; nur daß der Böse seine schen Journals: Le arti del disegno. Mir genügt es für meinen Rechnung schlecht gemacht hat, und daß er am Ende die Wette ver- Zweck, darauf hinzuweisen, wie Herr Vogel, den Gedanken Goethe's liert. Die Natur des Faust ist von der Art, daß er, so tief er auch nicht billigend, daß der allen Verirrungen der Leidenschaften überfinkt, sich immer wieder erhebt mit unbezwinglicher Gewalt. Er wird lassene Mensch auch ohne das Bedürfniß der Buße zu Gott aufsteigen nie müßig in der Verweichlichung ruhen und nie zum flüchtigen könne, die,,Göttliche Komödie" als eine nöthige Ergänzung des Augenblick sagen: o du bist schön; bleibe, du bist schön; in welchem Faust" betrachtet und deshalb von diesem nur den ersten Theil darAugenblick, nach dem Vertrag, Alles zu Ende sein und er die ewige gestellt hat, in welchem mit einer so großen Wahrheit und Wirkung Beute Mephistopheles' werden würde. Man sieht ihn in der That das immer tiefere Sinken des Menschen bis zu jenem Punkte verhinter seinem verkehrten Führer seine ganze Hölle der Leidenschaft und anschaulicht wird, wo Dante in dem wilden Walde verirrt ist. Er hat des Lafters hinuntersteigen, bis auf den legten Grund, der das Ge- dagegen das ganze italiänische Gedicht dargestellt, weil durchgängig gefängniß Margarethens ist, des Mädchens, das er verführt und bald zeigt wird, wie der Mensch steigt; ich sage durchgängig, denn selbst für die Gespenster der Walpurgisnacht, für die Ausschweifungen, d. h. das Absteigen Dante's durch die Kreise seiner Hölle ist in Wahrheit den Strudel der großen Welt, wieder verlassen hat; und indeß eilte ein Aufsteigen, indem es nicht auf dem Wege der Handlung, sondern das Geschick der Elenden vorwärts, und auf die Trunkenheit eines dem der einfachen Betrachtung geschieht, um das Unglück und die Augenblickes kamen an einander sich drängend der Tod der Mutter, Häßlichkeit des Lasters zu kennen und es zu fliehen. In dieser Bedie Ermordung des Bruders, die Schrecken, die Schande, der Kinder ziehung könnte man mit Wahrheit sagen, daß Dante seine Hölle bemord, das Gefängniß, das Blutgericht. trachtet, während sie Faust macht; was ganz mit der Absicht der beiden Dichter übereinstimmt, die ich eben zu erläutern versucht habe, und den wahren Grund angiebt, warum Dante der Held seines Gedichtes nicht ist und nicht sein konnte. Ich füge noch bei, daß Herr Vogel eben ein drittes Gemälde über Virgil's Aeneide vorbereitet, welches sich mit den zwei vollendeten vortrefflich zu einer Trias verbinden wird, indem auch die Aeneide eine ganze Darstellung des Lebens ist, wie es von einem großen Geiste in der Blüthe der heidnischen Civilisation aufgefaßt wurde, und außerdem den Keim in sich trägt, aus welchem sich das großartige Gebilde der Göttlichen Komödie" entwickelt hat..

Aber auch aus dieser Tiefe, mit welcher der erste Theil des Dramas schließt, erhebt sich Faust wieder, und wir sehen ihn dann am Anfange des zweiten Theiles wieder neu belebt inmitten einer ftrahlenden und lachenden Natur, mit dem Vorfah, von nun an beftändig nach einer höheren Eristenz zu streben; wie Dante aus der Todtenluft herausgetreten sich neu belebt: Dolce color d'oriental zeffiro, im Anblick der zitternden See, beim Gesange des Freundes Casalla, und sich anschickt, den Berg seines Fegefeuers zu ersteigen. Und auch Faust beginnt dann, ein Fegefeuer in seiner Art durchzugehen, das Fegefeuer der unermüdlichen Thätigkeit: bald am kaiserlichen Hofe unter Schauspielen, der Speculation, der Politik und des Krieges; bald auf Griechenlands Erde inmitten aller aus dem klassischen Alterthum hervorgerufene Phantasmen und in Liebe kosend mit Helena, dem göttlichen Typus der Schönheit griechischer Kunst, bald beschäftigt, zu erobern, zu besigen und zu herrschen, bis die Cura ihm in's Antlig haucht und ihn erblinden macht, die Lemuren ihm das Grab graben und darin seinen Körper versenken. Es sinkt in jenes Grab der Körper, aber der unsterbliche Theil, der von der Heerschaar der Engel dem Mephistopheles und seinem Gesindel geraubt wird, erhebt sich zum Himmel. Und diese endliche Lösung fällt thatsächlich mit jenem Begriff des pantheistischen Fatalismus zusammen, der, wie ich eben sagte, das ganze Drama belebt. Besonders bemerkenswerth sind dann jene Worte, mit denen Goethe schließt: „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“, mit welchen er das Prinzip bezeichnen wollte, das nach ihm die prädestinirten Seelen von den Verirrungen und dem. Falle immer wieder erhebt. Dieses Prinzip besteht in der Liebe, deren ewiges Symbol das Weib ist, vor allen anderen Wesen durch Schönheit bevorzugt. Dante macht zwar auch die Liebe zum einzigen Prinzip, das vermittelst des Schönen uns zum Wahren und Guten, nämlich zu Gott, erhebt; aber wie sehr von Goethe verschieden er diese Liebe verstehe, kann Jeder sowohl in den zwei Gesängen des Fegefeuers (17-18) sehen, wo er ausführlich davon spricht, als auch in dem ganzen Kontert und der Dekonomie feines Gedichtes.

Das bisher Gesagte ist ein schwacher Wink von dem, was ein Anderer über einen derartigen Gegenstand sagen könnte, und ich be, merkte schon, daß mir zwei Bilder von Karl Vogel dazu Gelegenheit gaben, Bilder, in denen das doppelte Drama der,,Göttlichen Komödie" und des "Faust" in Farben übertragen ist. Eine so schwierige Aufgabe ist geeignet, die Kühnsten abzuschrecken, und doch ist sie von dem wackeren Künstler mit einer seltenen Tiefe der Einsicht und mit meisterhafter Ausführung vollendet worden. Es sind dies Bilder

So werden durch die Werke dieses tüchtigen Meisters die Farben, mit der Gewalt des Wortes wetteifernd, drei der bewunderungswürdigsten Schöpfungen wieder erzeugt haben, welche den Geist der Menschen verherrlichen, und auf ihn wird man mit Wahrheit den Vers von Tasso anwenden können:

Muto poeta di pittor canori."

Frankreich.

Der Fatalismus in der Geschichte.

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Augustin Thierry hat in der legten seiner Schriften, der „, Introduction à l'Histoire du Tiers-État", den vollendeten Thatsachen der Geschichte ein so günstiges Attest ausgestellt sie gewissermaßen so zu verherrlichen oder zu beschönigen gesucht, daß er damit einem historischen Fatalismus zu huldigen scheint, der an diesem Historiker um so mehr auffallen mußte, als er in allen früheren Werken als beharrlichster Anwalt der Unterdrückten aller Jahrhunderte, als Verfechter der Gemeinderechte und der outlaws von Sherwood (f. die ,, Histoire de la Conquête d'Angleterre, par les Normands"), als Wortführer der Beschwerden des Jacques Bonhomme auftritt und es schwer begreiflich war, wie derselbe Forscher zugleich der Don Quijote der Unterdrückten und Schildträger der Unterdrücker sein konnte. Unseres Wissens haben gegen diesen Fatalismus in der Geschichte schon Edgar Quinet und Albert de Broglie Protest eingelegt. Nachdrücklicher aber ist dieses von Edmond de Guerle geschehen.") Wir theilen das hierher Gehörige mit:

„Es ist zu kindisch", sagt de Guerle, wenn sich Leute behaglich in ihr Kabinet verschließen und da, mit einem Lächeln auf den Lippen. und einer gewissen feligen Genugthunng, unter den Blutgerüsten und

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Wolfsgruben der Geschichte lustwandeln. Giebt es wohl eine Zauberruthe, die das von Tyrannen vergoffene Blut in Himmelsthau verwandelt? eine geheime Kraft, die uns die Leiden der verlebten Generationen so leicht erträglich macht, und sollte das Wohl der Menschheit, gleich der Pflanze, aus verderbtem und faulem Samen hervorgehen? Es zu glauben, wäre man in der That versucht, wenn man sieht, was aus dem Verbrechen wird, sobald man es durch das Prisma der Jahrhunderte betrachtet. Es ist eine der angebornen und demüthigendsten Schwachheiten des Menschen. Während sich unsere Augen schaudernd von dem Gemälde abwenden, worauf man Ludwig's XVI. Haupt über das Schaffot rollen sieht, weiden sie sich wohlgefällig an der wilden Gestalt eines Guise, den ein König von Frankreich mordete, und suchen neugierig in den Falten seines Wammses nach der blutigen Spur des Mordstahles; in dem Blute, welches den marmornen Estrich der Riesentreppe röthet, wo das Haupt Marino Falieri's fiel, erblicken sie einen glücklichen Farben-Effekt. Niemand ist sicher vor dieser kläg lichen Verkehrtheit, vor dieser Abstumpfung des moralischen Sinnes. Der Ehebruch in Puder und Schminkpflästerchen, die roth beschuhte Schurkerei beluftigen uns auf der Bühne und würden uns am Kamin anekeln. Hinter dem Staube der Jahrhunderte gewinnt Alles einen milden und heiteren Farbenschmelz, und der lange Schmerzensschrei der Märtyrer und Niedergeworfenen schallt als Freudengesang in die Zukunft hinüber. Während die Menschheit sich vor den Verbrechen, womit sie die Erde besudelt hat, das Geficht verhüllen sollte, während Philosophie und Religion sie im Namen dieser Verbrechen an ihr Nichts erinnern, spricht die Geschichte sie frei; mehr als dieses, fie verherrlicht sie. Komme nun noch der Patriotismus mit seinen berauschenden Klängen und stimme ein in dieses Konzert der Gaukelei und Lüge, alsdann wird jener fatalistische Cynismus zu mehr als einer Wahrheit, er stempelt sich zu einer Tugend um. Anstatt Trauer über die Vergangenheit anzulegen, beansprucht jede Meinung ihren Theil an den begangenen Verbrechen, damit auf diesem schauderhaften Aerndtefelde nichts nachzuftoppeln bleibe.

Mannigfaltiges.

Béranger's Schwester. Boiteau, der Herausgeber vou Béranger's nachgelaffenen Schriften, hat sich veranlaßt gesehen, gegen die über Béranger's Leben erschienenen Kritiken eine Broschüre herauszugeben,®) hauptsächlich zu dem Zwecke, die widersprechenden Ansichten über Béranger's Leben, Meinungen, Genius, persönliche Erinnerungen 2c., wie sie nach seinem Tode in die Oeffentlichkeit getreten find, zu beleuchten und, wo es nöthig ist, zu berichtigen. Es wird auch unsere Leser intereffiren, über eine angebliche Scene am Sterbebette des Dichters, von der so viel in den Zeitungen stand, das Nähere zu erfahren und sie im rechten Lichte dargestellt zu sehen. Nach jener Zeitungsnachricht soll sich die Schwester des Dichters, eine Nonne, in ihrem Belehrungseifer an das Lager des sterbenden Bruders gedrängt und ihn zu einer Beichte in extremis zu bewegen gesucht haben, sei aber von ihm, durch die Schaar seiner philosophischen Freunde bewacht, kalt aufgenommen worden; namentlich habe Herr Autier ein trauliches Gespräch zwischen den Geschwistern verhindert, und die Nonne, in ihrer theuersten Hoffnung getäuscht, habe sich mit Kummer und Verdruß aus dem Sterbezimmer entfernt. Eine Thatsache widerlegt die ganze melodramatische Dichtung. Herr Boiteau hat mit Erlaub, niß des Fräuleins Béranger folgenden Brief an Herrn Autier, datirt vom 17. Juli 1857, abgedruckt:

„Mein Herr! In meinem tiefen Kummer ist es ein Troft für mich, zu wissen, daß mein geliebter Bruder in Jhnen einen Freund gefunden, der ihm bis zuleht Proben aufrichtiger Ergebenheit gegeben hat. Ich weiß auch, daß Madame Autier ihm ihre mühevolle Sorgfalt gewidmet hat, und ich habe keinen Ausdruck, der meinem lebhaften Dankgefühl gegen Sie Beide entsprechend wäre, und noch weniger bin ich im Stande, Ihnen thätliche Beweise davon zu geben zc. Sophie Béranger."

Dieser Brief ist der Bekanntmachung werth zu Nuß und Frommen gewiffer Literar-Historiker, die mit der festen Vorausseßung an das Schreiben gehen, daß es, wo es raucht, auch brennen müsse. Aus Boiteau's Schriftchen erfahren wirferner mit Vergnügen, daß die Herausgabe der gesammelten Briefe Béranger's in baldiger Aussicht stehe.

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„Woher mag diese seltsame Manie kommen, die so vielen edlen Geistern gemeinsam ist? Von einer der unheilbarsten Schwächen der menschlichen Natur, welche den Triumph ihrer Ideen höher stellt als den Triumph ihres Gewissens. Denn die Ideen geben ihr nur geringen Werth, all ihr Werth beruht auf dem Gewissen. Nicht um Shakspeare in Italien. Aus einer Turiner Korrespondenz des Verbrechens an sich willen verklärt der Mensch das Verbrechen; im Crepuscolo von Mailand entnehmen wir eine Notiz in Bezug so bösartig ist er nicht; sondern weil das Verbrechen so oft das auf die Einbürgerung des Shakspeareschen Dramas in Italien. Ein Große, das gethan worden ist, begleitet hat, weil dieses vielleicht Schauspieler von Talent und Ruf, zugleich Direktor einer Musternicht ohne jenes geschehen wäre und folglich das Verbrechen eine gesellschaft, Ernesto Rossi, giebt unter Anderem auch den Hamlet Bedingung menschlichen Fortschrittes zu sein scheint. Der Mensch Amleto. -,,Und wenn die Rolle großartig war," sagt der italiänische beugt sich vor den Resultaten; er denkt nicht daran, daß das Blut Referent, „so machte er sie noch großartiger; wenn sie mittelmäßig der Unterdrückten die Jahrhunderte mit seinem Mahnrufe durchdringt, war, so rettete er sie. Den Hamlet noch großartiger zu machen, ist in daß es zuweilen den Ruhm erstickt, den es erkaufen mußte, und daß der That ein bischen stark; aber, da er die prosaische Ueberseßung die Scheidewand, über welche sich das Verbrechen jezt hinwegschwang, von Rusconi zu Grunde legte, welche so viele Schönheiten unterdrückt sich in der Ferne gewaltiger und unübersteiglicher emporthürmt. Der und so viele große Gedanken und Einfälle ändert, so kann man sagen, Mensch glaubt sich größer durch seine Ideen, als durch sein Gewissen, daß Rossi, vermöge seines Genies und der Kraft seiner Intuition, sich und darum ist die Weltgeschichte mit Blut geschrieben, darum haben Shakspeare nähert und ihn lebhafter macht, als die Worte klingen. die Religionen, und selbst die erhabenste der Religonen, so viele Ich hätte die elegante und treue Ueberseßung von Carcano vorgezogen; Scheiterhaufen und Blutgerüfte aufgerichtet. Nicht gottselige Frömmig. aber Rossi glaubt, daß die Prosa mehr zum Effekte beiträgt; sei es, keit, nicht die mystische Gluth der heiligen Therese, noch die christliche daß die Schauspieler Verse nur schlecht recitiren können, sei es, daß Liebe eines Vincenz da Paula verbrennen die Häretiker, nein, sondern das Publickum wenig gebildet ist, oder daß der Vers so abfällt und die Doktrin oder vielmehr das System, welches die Menschen auf stammelt, daß der Geist des Dichters gar nicht zur Geltung kommen die Doktrin bauen und für welches sie mehr Ehrfurcht als für die kann. Thatsache ist, daß er den Macbeth nach der Uebersehung von geheiligte Person Jesu Chrifti in Anspruch nehmen; es sind — mit mit Carcano gegeben und darin weniger gefallen hat, als im Hamlet. Einem Worte, die Ideen. Der Mensch bedenkt nicht, daß er vor Intelligente Leute sagen mir, daß Shakspeare im italiänischen Verse Allem auf dieser Welt ist, um sich selbst, nicht um die Anderen zu be- in Nachtheil stände. Jedenfalls war der Erfolg beider Dramen ein herrschen, und daß, wenn ihn der Eifer für das Haus Gottes ver- glänzender, und der alte Shakspeare hatte die Blüthe der Turiner Bilzehrt, es ihm freisteht, für seine eigenen Ideen zu sterben, nicht aber dung zu Zuhörern.“ Andere zu tödten. Die Idee hat ihre Stellen in der Menscheit, aber die Menschheit ist ein aus moralischen Wesen, nicht ein aus Systemen Zusammengesettes.

„Sollte es denn nun unmöglich sein, die Revolutionen der Geschichte lieber nach dem, was sie Wohlthätiges gewirkt haben, als nach ihrer Größe zu klassifiziren? Wäre es unmöglich, die großen Männer nach gewohnten Gefeßen der Moral über- und unterzuordnen: zuoberst die Helden, welche Heilige und Wohlthäter der Menschheit gewesen find; sodann die Helden, welche, ohne Heilige zu sein, menschlich find; dann diejenigen, welche ihre Vergehungen wenigstens mit großen Ueberzeugungen verdeckt haben, zuleht und weit dahinter die Egoistifchen, fände sich auch ihr Interesse in Uebereinstimmung mit dem Intereffe ihrer Völker und sogar, was unmöglich ist, mit demjenigen der gesammten Menschheit?"

Im Weiteren folgt die Anwendung auf Frankreich, deren Ergebniß, wie Herr de Guerle unumwunden bekennt, nicht eben befriedigend und schmeichelhaft für den französischen Nationalstolz lautet. E. Kr.

Außerdem giebt man in Turin ein Stück von Gualtieri, ein Künstlerdrama, das den Titel „, Guglielmo Shakspeare" führt und das Leben des großen Dichters zum Gegenstand hat. Der Verfaffer soll sich auf scenische Effekte ziemlich gut verstehen; außer diesem aber wird nichts gelobt, wohl aber Alles getadelt. „Die Scene", sagt der italiänische Berichterstatter,,wo Shakspeare beim Brausen des Oceans eine Ballade rezititt, in welcher er sich zur Ermordung der Maria Stuart verschwört (!!!), ist unausstehlich; eine Zuhörerschaft, die nur ein Handbuch englischer Geschichte gelesen, würde das Herablaffen des Vorhanges gefordert haben. Alles, Thaten, Gedanken, Stil, ist so shakspearewidrig, daß ich den Namen als Titel des Stückes streichen würde.""")

*),, Les erreurs des Critiques sur Béranger", par Paul Boiteau. **) Das Stück ist wahrscheinlich aus dem Französischen übersetzt. Wenigstens erinnern wir uns der Aufführung eines Dramas mit ähnlichem Inhalt und Titel, zu Paris im Jahre 1854, und zwar im „,Théâtre Français", beigewohnt zu haben. D. R.

Böchentlich erscheinen 3 Rammern. Vreis jährlich 3 Iblr. 10 gr., halbjährlich 1 Tölr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 gr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Dans geliefert wird.

No 127.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Riederwallftr. Rr. 21), sowie von allen königl. Poft-Aemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

England.

Berlin, Sonnabend den 23. Oktober.

Korrespondenz-Berichte aus London.

Die stille Zeit und der Leitartikelstoff während derselben. - Der atlantische Telegraph und der „levia than". Der chinesische Times-Korrespondent.

Es war und ist immer noch „stille Zeit“ in London, mehr oder weniger auch in England, das bekanntlich niemals zuhause ist, so lange nicht parlamentirt wird. Was zuhause bleibt, gilt nichts, obgleich die Zeitungen während der stillen Zeit jedesmal viel Leitartikel über dieses zuhause gebliebene England und dessen soziale, materielle und moralische Uebel zum Besten geben, über die Noth der Weißnähe rinnen und Puhmacherinnen, mehrerer arbeitenden Klassen, Hospitäler, Armenpflege, Gefängnisse, Verbrecher-Reform u. f. w. Das macht aber den Leitartikel-Kohl nicht fett. Und doch muß jede Zeitung, nach Muster der Times, jeden Morgen ihre drei bis vier Leitartikel zum Frühstück auftischen. In jedem Leitartikel muß ein Thema, ein Gegenstand besprochen werden. Wo soll es immer herkommen, zumal, wenn einmal das Janusthor zufällig ein bischen geschlossen oder wenigstens nicht nach allen Richtungen der Windrose drohend aufgesperrt sein sollte? Die auswärtige Politik Englands, von den Palmerston's einmal historisch begründet und praktizirt, sorgt nun zwar dafür, daß an ein Schließen des Janustempels niemals zu denken sein mag, aber China ist weit und abgedrofchen und bereits zu einem Friedensvertrage genöthigt worden. Cherbourg und deffen drohende Kanonen sind auch wieder nach einem kurzen Zeitungslärm ruhig geworden. Und was sie sonst noch für Gefahren bieten könnten, ist keine Gefahr. England hat dafür einen freiwilligen, umsonst bellenden und beißenden, sehr bösartigen Kettenhund mit Namen „, Tear'em" (Zerreiß' s'e), der im Uebrigen auf den Namen Roebuck M. P. hört. Er war mit dem Parlamente natürlich auch mit drüben gewesen (à Parlaments-Person 5 und mit Beköstigung 10 Pfund Sterling) und bekam irgendwo in der Provinz ein Festessen dafür, wo immer mehr getrunken und getoastet wird. Andere machten sich lustig über Cherbourg, er aber sagte: Es ist kein Spaß! Wir müssen schrecklich aufpassen! England braucht einen Tag- und Nachtwächter blos allein für Cherbourg. Die Regierung aber und das Volk halten sich keinen. Wer soll wachfamer grimmiger Hund sein, Tear'em? Ich will dieser Hund sein, Tear'em! Das gab viel Spaß und auch Leitartikel, worin auch bewiesen ward, daß Roebuck kein ordentlicher Hund sei, da er blindlings Freunden und Feinden die Rockzipfel abreiße, was ein ordentlicher Hund nie thue.

Auch die Absicht der Königin, Cherbourg zu besuchen, statt, wie Amerika, das gleichzeitige Fest der gelungenen Legung des atlantischen Telegraphen zu feiern, gab brillanten, brennenden Leitartikelstoff. Die Bier-Zeitung Morning Advertiser fagte: Wir werden das Volk auf rufen, welches durch fulminante Meetings diesen Besuch, diese ewige Schmach Englands, zu verhüten wissen wird. Aber es wurde nicht einmal gemuckst, geschweige ein Meeting zu Stande gebracht, obgleich Niemand dem souverainen Volke das Maul verboten hatte. Das fouveraine Volk muckste weder über Cherbourg, noch über die gleich zeitige gelungene Telegraphenlegung, dieses Weltereigniß, über welches Amerika beinahe in Flammen aufging vor Freude. Wenigstens brannen fie bei der Illumination in New-York ein Rathhaus ab und verbrannten sie die Betten der Hospital-Kranken in den zerstörten Quarantaine-Anstalten von Staaten Island.

Das Gelingen des atlantischen Telegraphen gab allerdings Zeiungsstoff in England, aber noch mehr das darauf folgende Mißingen, ein Verdienst, das der atlantische Telegraph mit einem andeen Riesen-Unternehmen, dem,, Leviathan", gemein hat. Dieser war Monate lang voluminöfer Stoff für Englands-Glorie. Hernach kam sie berüchtigste Lahnschung oder Entstapelung, die in höchstens sechs Tagen, wie die ganze erschaffene Welt nach Calvisius, für höchstens

1858.

5000 Pfund vollendet sein sollte. Sie dauerte über drei Monate und koftete über 100,000 Pfund. Nun kam das Jammern. Geld und Kredit waren erschöpft, und kein Engländer wollte noch einen rothen Pfennig zur Vollendung dieser nationalen Glorie geben, obgleich man 100 Prozent Profit versprach. So liegt der „Leviathan" seit Monaten auf der welthistorisch stinkenden Themse neben dem verfaulten Hospitalschiffe „, Dreadnought" oder „Fürchte nichts!" Man kann die innere Stille und Leere für Geld sehen, aber die meisten Leute benußen nicht einmal ihre Freibillets. Es stinkt so fürchterlich umher, und die Dampfschiffe auf der Themse und deren Ufer sehen so furcht bar rauchig, zerfallen und zerfahren aus und können keine Landungspläge finden in dem gloriofen London, dem Handelsmittelpunkte der Welt, wo man selbst für die täglich abgehenden und ankommenden Dampfschiffe noch kein einziges erträgliches Bollwerk hat, so daß sie in der Regel mitten auf der Themse halten müssen, wo Güter und Passagiere von organisirten Themseräuberbanden an das Land gefahren werden.

Andere innere Angelegenheiten sehen entsprechend troftlos aus, so daß sich die Publizistik scharf im Auslande umsehen mußte. Man fand Gott sei Dank in der preußischen Regentschafts-Angelegenheit und in den historisch-bedeutsam aufsteigenden Reformen Rußlands einigen Stoff. Aber wenn China nicht gewesen wäre, ich weiß nicht, wie die Times, die Quelle für fast alle Zeitungen Europas in großen, weiten Angelegenheiten, hätte durchkommen wollen. Sie hatte besonderes Glück mit China. Daß man Krieg führte und bombardirte, kam der ganzen inneren Politik, also auch allen Zeitungen zugute. China brachte eine Parlaments-Auflösung und den Triumph Palmerston's. Dies Alles kam der Zeitungswelt in aller Welt zugute. Was der Times aber allein als Verdienst und Ruhm gebührt, ist Mr. Cooke, ihr chinesischer Spezial - Korrespondent. Sie hat ein ganzes Heer der ersten Talente im Solde, auch eine Compagnie solcher, die für 400 Pfund Sterling à Person weiter keine Verpflichtung haben, als diese 400 Pfund Sterling zu verzehren und so lange nichts zu thun, bis eines Morgens plöglich ein Schreiben vom „, Editor" kömmt: Sir, reifen Sie heute Abend nach Vancouversland, oder Canton, oder Petersburg, oder dem Nord- oder dem Südpole ab und korrespondiren Sie für uns.

Aehnlich schrieb sie an Mr. Wingrove Cooke, den sie für Krieg und Frieden nach China schickte. Die ellenlangen, zum Theil in allen Zeitungen der Welt zerstückelten und erzerpirten, sehr interessanten Korrespondenzen vom chinesischen Kriegs- und Friedensschauplage in der Times sind alle von Cooke. Er ist kein großes Lumen, aber sehr genau in seinen Berichten und, nach meiner Erinnerung an andere Gesandte der Times, ehrlicher, gewissenhafter und vorurtheilsfreier, als irgend Jemand. Er läßt den für politische Zwecke oder aus Bornirtheit geschmähten Chinesen wenigstens so viel Gerechtigkeit widerfahren, als sich irgend mit seiner spezifischen Mission vertragen will. Dies ist mir erst ganz besonders aufgefallen, als ich seine gesammelten und redigirten Times-Korrespondenzen als ganzes Buch hinter einander durchlas.") Es sind nicht sowohl seine strategischen und politischen Mittheilungen, die einen übergewöhnlichen Werth haber (obgleich solche Berichte, wie der sechs Foliospalten lange über die Schlacht von Futschan wirkliche Theilnahme und mitten in Gefahr und Aufregung Darstellungstalent und ruhige Hand voraussehen), als vielmehr seine Genrebilder aus dem chinesischen inneren Alltagsleben, z. B. die über chinesische Heiraten und Begräbnisse, was und wie sie eigentlich effen, und wie die kleinen Füße der Chinesinnen gebildet werden und eigentlich aussehen.

Er begnügte sich nicht etwa damit, eine der Damen von Hongkong zu besuchen, die ihre kleinen chinesischen Musterfüße kuriosen See-Capitainen und sonstigen Europäern für 1 Dollar à Person zeigen, sondern gründete seine speziellen Mittheilungen auf die genauesten, wissenschaftlichen Untersuchungen. Mit Hülfe von Missiova

(*), China in 1857-1858". By G. Wingrove Cooke. London: Routledge. Berlin: Asher & Comp.

ren und Geld bekam er eine ganze Menge kleiner Chinesinnen in den verschiedensten Stadien von Fußbildung unter die Augen. Der vollendete Fuß des ältesten, etwa acht Jahre alten Kindes war entblößt ein formloser Klumpen mit einer Fußsohle, die aus nichts als der großen Zehe und der Hacke dicht neben einander besteht. Dies ist der kleine Chinesinnenfuß, ein Stückchen Zehe und ein Stückchen Hacke mit einer Spalte dazwischen. Zwei der Kinder, im zweiten und dritten Stadium der Fußbildung, litten noch große Schmerzen, und ihre Füße waren entzündet und geschwollen. Das nächste litt unter dem Anfange des zweiten Stadiums, das vielen Kindern das Leben kostet. Die Fußsohle war in einen Bogen gekrümmt, große Zehe und Hacke möglichst nahe an einander geschraubt. Die Banbagen werden immer dichter gezogen, der Fuß schwillt und entzündet fich, aber die zärtliche Mutter harrt unerweichlich aus. Die vier jüngsten Kinder litten noch unter dem Vorbereitungsstadium, während welches nur die vier kleineren Zehen unter den Fuß gebunden werden, bis sie mit der Sohle verwachsen und verschwinden. Während der Zeit können sie frei auf den Knöcheln dieser Zehen herumhumpeln, eine Freiheit, die hernach über Jahr und Tag ganz aufhört.

Nun wissen wir in detaillirter, ekelhafter Genauigkeit, worin diese weltberüchtigte chinesische Kunst besteht. Es drängt sich hier eine Art Freude auf, daß nun Civilisation unter die Chinesen und in Folge davon vielleicht auch Erlösung der Mädchenfüße eindringt; aber auch ein demüthiger Rückblick auf die Tortur viel edlerer Theile, welcher bei uns im schönen Westen Damen-Taillen unterworfen werden. Der Schnürleib muß Lunge, Leber und Mutterschooß verderben (bei den Chinesinnen sind es doch wenigstens blos die Füße) und die eisernen Luftballon-Rahmen und Krinolinen die so verdorbene Taille zu dem skandalöfesten Umfange aufschwellen. Ohne Zweifel find unsere Damen barbarischer, als die Chinesinnen mit ihren Töchtern, wenigstens in dieser Sphäre von Verschrobenheit. Schrecklich ist es, auf welchem Fuße die gebildeten Chinesinnen ftelzen lernen müffen, aber sie sind doch auch vom Knöchel an aufwärts um so natürlicher. In ihren gestickten Blousen und Höschen sehen sie gar niedlich aus.

Wer sich so viel Mühe mit den chinesischen Damenfüßen gab, um genau zu berichten, der ißt und trinkt auch nicht oberflächlich. In der That wissen wir nun erst von Cooke, was und wie die Chinesen eigentlich effen. Daß sich arme Leute, die keinen Reis mehr haben und kaufen können, gegen Abend eine Müze voll Heuschrecken fangen, um den folgenden Tag zu leben, kommt hier nicht in Betracht, sondern das volle, echte Diner, das mit hart gekochten Eiern anfängt und Schüffel für Schüffel, Gang für Gang - es sind eine schwere Menge bis zum Dessert auf das genauste geschildert wird. Man kann es im besten Kochbuche nicht beffer verlangen. Wir verstehen nun ein chinesisches Diner, mit Ausnahme der Entrées. Kaviar, gesalzenen Lachs, Sardinen, Austern u. f. w., auch russische Zokutschka (Pfeffergurken) begreifen und essen wir wohl auch gelegentlich als Appetit-Erreger; aber wie sollen wir uns fette Gänsebruft und hartgekochte Eier als Wetsteine des Hungers erklären? Nun, chinesisch, d. h. dadurch, daß man blos ganz kleine Quantitäten nimmt, die wie öffnende Bomben in den schlummernden Magen geschossen werden, um ihn zu seiner schweren Pflicht aufzurufen, chinesisch und nicht englisch, wenigstens nicht wie jener Engländer, der sich bei einem Restaurant in Rue Montorgueil zu Paris durch Austern Appetit verschaffen wollte und nachdem er vier Dußend gegessen, unwillig ausrief, daß er sich nicht im geringsten hungriger als vorher fühle. Cooke ftudirte die Chinesen genau und gewissenhaft, deshalb unterließ er auch eine allgemeine Charakteristik. Ich habe verschiedene sehr hübsche Charakteristiken der Chinesen geschrieben", sagt er in der Vorrede,,, aber da ich sie unglücklicher Weise wirklich unter meinen Augen hatte, während ich sie charakterisirte, und sie während der Zeit immer etwas sagten oder thaten, das gegen meine Hypothesen stieß, verbrannte ich diese Briefe im Interesse der Wahrheit. Diese Bedenklichkeiten existiren freilich blos für die, welche die Chinesen prak tisch kennen. Jeder talentvolle Schriftsteller, der nichts von ihnen weiß, kann sie brillant und antithetisch charakterisiren und nichts zu wünschen übrig lassen, als Wahrheit."

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Just wie Thackeray in seinem Pariser Skizzenbuche sagt:,,Wenn Sie eben blos ein Buch über die Franzosen zu schreiben wünschen, genügen drei Tage in Paris vollkommen; aber wenn Sie sie kennen lernen wollen, dürfen Sie nicht blos Jhren eigenen Beobachtungen vertrauen, selbst wenn Sie Jahre lang unter ihnen gelebt haben."

In England hat man bisher größtentheils die Residenz alles chinesischen Gesindels, aller Vagabunden und Genie's, Canton, als ,,China" beschrieben und für Palmerstonsche Zwecke obendrein noch auf das unverschämtefte gelogen (der Bäcker Allum, der Vergifter, der Verurtheilte und Gefangene, der hernach von einer englischen Jury freigesprochen worden war, als die Wahlen vorbei waren, hat dem Lord Palmerston in seiner Appellation an das Land, nachdem ihn

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und de Luc hatten wir zwar schon längst Gelegenheit, die Chinesen, wie sie sind, kennen zu lernen; aber sie waren unter den politischen Verhältnissen der neuesten Zeit keine Autorität und vergessen. So ist Cooke der Erste, wenigstens in England, der aus Erfahrung und speziellem Studium beweist, was für Barbaren (durch den neuesten Friedens-Vertrag den Chinesen verboten, wenn sie von Engländern sprechen) wir bisher in Beurtheilung der Chinesen waren.

Nachdem ich auf so viele Einzelnheiten und Vorzüge des Buches hingewiesen, brauche ich es wohl nicht noch zu empfehlen. Selbst wer alle feine Briefe in der Times gelesen haben sollte, wird das Ganze noch einmal mit dem größten Interesse studiren können.

Friedrich der Große, nach Thomas Carlyle.")
(Fortseßung.)

Wir wollen hier nach dieser Ueberseßung (in der wir hin und wieder, der Deutlichkeit wegen, Einiges korrigirten) mehrere Episoden der Einleitung Carlyle's (,, Ueber die Geschichte Friedrich's von dem entfernten Standpunkte, auf dem wir uns befinden"), mittheilen. Diese Episoden können zugleich von dem Geiste, in welchem Carlyle die Geschichte des großen Königs behandelt, das bestredende Zeug niß geben.

Zunächst Folgendes über das sittliche Verhältniß Friedrich's zu der bald nach seinem Tode ausgebrochenen französischen Revolu tion und zu dem Bändiger derselben, dem Kaiser Napoleon:

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,,Die französische Revolution hat ungefähr ein halbes Jahrhun dert lang Friedrich, man kann sagen, gänzlich überschwemmt, aus der Gedächtnissen der Menschen getilgt, und nun, da er wieder zu Tage kommt, erscheint er entstellt unter seltsamen Schlamm-Jnkrustirungen, und die Augen der Menschheit blicken von einem sonderbar veränder. ten, was wir nennen müssen, schiefen und verkehrten Gesichtspunkt aus auf ihn. Dies ist eine der Schwierigkeiten in der Behandlung seiner Geschichte, besonders wenn es sich so trifft, daß man an Beides, die französische Revolution und ihn, glaubt; das will fagen an Beides: daß das echte Königthum ewig unentbehrlich ist, und die Zerstörung des Scheinkönigthums (ein fürchterliches Geschäft) zeitweise. Beim Ausbruch jener gewaltigen Explosion und Selbsttödtung feines Jahrhunderts sank Friedrich in relative Dunkelheit, verfinstert inmitten jenes allgemeinen Erdbebens, deffen Staub allein schon die ganze Luft verdüsterte und den Tag in schreckliche Mitternacht kehrte – schwarze Mitternacht, nur von der Helle lodernder Feuersbrünsie unterbrochen, - in welcher für unsere erschrockene Einbildung nicht Menschen, französische oder andere, zu sehen waren, sondern graufige Omina und Gestalten rächender Götter, zürnend einherschreitend. Man muß zugeben, die Figur Napoleon's war titanisch, namentlich für das Geschlecht, das ihn schaute und schaudernd erwartete, von ihm verschlungen zu werden. Ueberhaupt war in jener französischen Revolution Alles in einem gewaltigen Maßstabe; wenn nicht größer als irgend Etwas in der menschlichen Erfahrung, mindestens grandioser. Dabei ward Alles in Bülletins verkündigt, die an die ViergroschenGalerie gerichtet waren, und es befanden sich Kerle auf den Brettern mit Säbeln so breit, Backenbärten so dicht, Kehlen von solcher Stärke, und mit solchen Maffen von Menschen und Schießpulver zu ihrer Disposition, wie bis dahin nie erhört worden. Wie sie brüllten, einherschritten und polterten, Jupiters Donner zum Erstaunen nachmachend! Schreckhafte Bramarbas - Gestalten, mit entseßlichen Backenbärten, end losen Pulvervorräthen, nicht ohne hinlängliche Ferocität und sogar mi einem gewissen Heroismus, Bühnenheroismus, in ihrem Wesen, im Vergleich mit denen es der Viergroschengalerie und dem erschütterten Theater überhaupt dünkte, als hätte es nie zuvor Generale und Machthaber gegeben, als wären Friedrich, Gustav Adolf, Cromwell, Wilhelm der Eroberer fortan nicht mehr der Rede werth.

,,Dies Alles hat sich jedoch binnen einem halben Jahrhundert be trächtlich geändert. Wie die Bramarbas-Ausstaffirung nach und nach hinweggeriffen wird, sieht man die natürliche Größe beffer; aus dem Bülletinstil in den Stil der Thatsache und Geschichte überseßt, find Wunder sogar für die Viergroschengalerie nicht ganz so wunderbar. Es zeigt sich allmählich wieder, daß große Menschen vor der Aera der Bülletins und der Agamemnon's gelebt haben. Austerliß und Wagram verschoffen mehr Pulver, - Pulver wahrscheinlich im Verhältniß vor zehn zu eins oder hundert zu eins, — brachten aber alle beide dem Feinde nicht das Zehntel von der Niederlage bei, wie jene von Rofbach, bewerkstelligt durch strategische Kunst, menschliche Genialität und

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Geschichte Friedrich's des Zweiten, Königs von Preußen, genannt Frie drich der Große", von Thomas Carlyle. Deutsch von J. Neuberg. Deutsce. vom Verfasser autorifirte Ueberseßung. Erster Band, erste Hälfte, Bogen 1-20.

Herzhaftigkeit und die Einbuße von 478 Mann Preußen. Ebenso Leuthen; die Schlacht von Leuthen (wie wenige englische Leser auch davon gehört haben) darf sich ganz gut sehen lassen neben jedem Napoleonischen oder sonstigem Siege. Denn die feindliche Uebermacht war wenig unter drei gegen eins, die Güte der Truppen war nicht sehr ungleich, und nur der General war von vollendeter Ueberlegenheit und die Niederlage eine Vernichtung. Napoleon freilich, vermöge eines unerhörten Aufwandes von Menschen und Schießpulver, übergog ganz Europa auf eine Weile; aber niemals vertheidigte Napoleon, vermöge wirthschaftlicher Handhabung und weisen Verwendens seiner Leute und seines Pulvers, ein kleines Preußen gegen das gesammte Europa, Jahr aus Jahr ein, sieben Jabre lang, bis Europa es satt war und das Unternehmen aufgab, als ein unausführbares. Ist erst einmal die Bramarbas - Ausstaffirung ganz und gar hinweggeriffen und die Viergroschengalerie gänzlich beschwichtigt, so wird es sich herausstellen, daß es große Könige vor Napoleon gegeben, und auch eine Kriegskunst, begründet auf Wahrhaftigeit und menschlichen Muth und Einsicht, nicht auf bramarbaffischer Nodomontade, grandiosem Rinaldinismus, Revolutionsschwindel und maßlosem Aufwand von Menschen und Schießpulver. „Es kann einer mit sehr großem Pinsel malen, ohne deshalb ein großer Maler zu sein“, sagt ein satirischer Freund! Dies giebt sich immer mehr kund, indem der Staubwirbelwind und gewaltige Lärm der vergangenen Generation sich nachgerade wieder legt."

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Hier folge nun, was Carlyle über das achtzehnte Jahrhundert sagt, das er lediglich nach dem beurtheilt, was er in der Chronique scandaleuse der Franzosen und der Engländer gefunden, während er gänzlich vergessen zu haben scheint, daß in demselben Jahrhundert die von ihm so geschäßten großen Dichter Deutschlands den Höhepunkt ihres Ruhmes erreichten und das, was wir heutzutage Humanität und Fortschritt nennen, von Männern, wie Leffing, Herder, Kant und Fichte, zuerst gelehrt wurde; ja, daß in diesem Jahrhundert nicht blos in Deutschland, sondern auch in England und Frankreich, alle diejenigen Kreise, die von der Depravation der Höfe nicht ergriffen waren, Idealen nachstrebten, die hoch über den Alles zurückdrängen den materiellen Interessen des neunzehnten Jahrhunderts standen. Carlyle fagt:

,,Eine der großen Schwierigkeiten in einer Geschichte Friedrich's ist fortwährend die: daß er in einem Jahrhundert lebte, welches keine Geschichte hat und wenig oder keine haben kann, einem Jahrhundert, so reich an angehäuften Lügen, indem der traurige Reichthum, ihm durch Erbschaft zugewachsen, immer Zinseszins trug und immer mehr zunahm durch neue Erwerbungen auf den Grund eines unermeßlichen stehenden Kapitals, — reich in dieser schlimmen Art, wie kein Jahrhundert zuvor gewesen! Und dieses Jahrhundert hatte nicht einmal das Bewußtsein mehr, daß es lügenhaft sei; so falsch war es geworden und so versunken in falschem Wesen und gesättigt damit bis auf die Knochen, daß überhaupt das Maß des Dinges voll war und eine französische Revolution ihm ein Ende machen mußte. Viel Wahrhaftigkeit in einem solchen Element zu bewahren, war, besonders für einen König, ohne Zweifel doppelt merkwürdig. Wie aber nun den Mann aus seinem Jahrhundert herauswickeln? Wie den Mann, der eine sehenswerthe Realität war, zeigen und doch sein Jahrhundert als eine Hypokrifie, die da werth ist, verborgen und vergessen zu werden, möglichst auf sich beruhen lassen?

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,,Das achtzehnte Jahrhundert aufzuerwecken, oder mehr als nothwendig die armseligen und gemeinen Persönlichkeiten und Verhandlungen einer so zu uns stehenden Epoche zur Schau zu stellen, kann meine Absicht nicht sein bei dieser Gelegenheit. Das achtzehnte Jahrhundert gestaltet sich mir bekanntlich mit nichten als ein liebliches, das in Erinnerung gehalten oder unnöthiger Weise besprochen zu werden braucht. Für mich hat das achtzehnte Jahrhundert nichts Großes in sich, außer jenem großen allgemeinen Selbstmord, französische Revolution genannt, wodurch es sein übrigens höchst nichtswürdiges Da fein mit wenigstens Einer würdigen Handlung vollendete, — indem es sein uraltes Haus und sich selber in Brand steckte und in Flammen und vulkanischen Ausbrüchen aufging, auf eine wahrhaft merk würdige und bedeutsame Art. Ein sehr passendes Ende, wie ich mit Dank fühle, für solch ein Jahrhundert. Ein verschwenderisches, betrügerisch - bankerottes Jahrhundert, endlich völlig insolvent geworden, ohne wirkliches Geld der Leistung in der Tasche, und die Handelsleute fich weigernd, Hypokrifieen und Scheindinge an Zahlung zu nehmen: was konnte das arme Jahrhundert thun, als eingestehen: Wohlan, es ist an dem; ich bin ein Schwindler-Jahrhundert und bin es seit lange gewesen, habe den Kniff dazu von meinem Vater und Großvater gelernt, verstehe kaum ein anderes Geschäft, als mit falschen Wechseln, und dachte thörichter Weise, es würde dies ewig dauern und immer noch der günstiger gestellten Minorität wenigstens Braten und Mehlspeise bringen. Und siehe da, es hat ein Ende, und ich bin ein entlarvter Schwindler und habe nicht einmal zu essen. Was bleibt

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,,Denn es bedurfte einmal wieder einer göttlichen Offenbarung an die erstarrten frivolen Menschenkinder, wenn sie nicht völlig in den Affenstand versinken sollten. Und in jener Windsbraut des Universums -die Lichter verlöscht und die zerrissenen Trümmer der Erde und Hölle zum Empyreum hinan geschmettert; schwarze Windsbraut, die sogar Affen ernst und die mehrsten von ihnen verrückt machte, — war, für Menschen, eine Stimme vernehmbar, eine Stimme einmal wieder aus dem Innersten der Dinge, gleichsam sagend:,,Das Lügen ist nicht erlaubt in diesem Universum. Der Lohn des Lügens, seht Ihr, ist der Tod. Lügen bedeutet Verdammniß in diesem Universum, und Beelzebub, wenn auch noch so herausgeschmückt mit Krone und Jufulen, ist nicht Gott!" Dies war eine in Wahrheit als des Ewigen zu nennende Offenbarung in unserem armen achtzehnten Jahrhundert und hat von da an die Beschaffenheit des besagten Jahrhunderts für den Historiker bedeutend geändert.

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„Kurzum, jenes Jahrhundert ist darauf völlig konfiszirt, bankerott geworden, dem Gant überlassen, und Trödler sortiren gegenwärtig, in verworrener betrübender Weise, was davon noch werthhabend oder verkäuflich ist. Und es liegt im Grunde zusammengehäuft in unserer Vorstellung als eine unheilvolle schiffbrüchige Nichtigkeit, bei der zu vérweilen nicht ersprießlich ist, eine Art dämmernder chaotischer Hintergrund, worauf die Gestalten, die einiges Wahrhafte in sich hatten, eine kleine und mit der zunehmenden Strenge unserer Forderungen immer kleiner werdende Genossenschaft, für uns abgebildet stehen. —,,Und dennoch, ist es nicht das Jahrhundert unserer eigenen Großväter?" ruft der Leser. Ja doch, Leser; allerdings. Es ist der Boden, dem wir selbst entsprungen, auf dem wir unmittelbar nun fußen und worin wir, Nahrung suchend, zuerst Wurzel schlagen müssen: und leider in großen Bezirken der praktischen Welt florirt es (was wir besonders unter es verstehen) noch fortwährend rings um uns her! Es ganz zu vergessen, ist noch nicht möglich und wäre auch nicht ersprießlich. Was damit machen und mit seinen vergessenen Narretheien und „Geschichten", die nur des Vergessens würdig? Wohlan: so viel desselben als von Natur aus festhaftet; was desselben nicht abgelöst werden kann von unserem Helden und seinem Wirken: ungefähr so viel und nicht mehr! Sei das unser Uebereinkommen in Betreff deffelben.“

Daß Carlyle unter der Ueberschrift,,English Prepossessions" einen Erkurs liefert, worin er die Vorurtheile des vorurtheilsvollen Englands in Bezug auf Friedrich bekämpft, ist gewiß ganz am Orte. Steckt er selbst auch noch tief in englischen Vorurtheilen in Bezug auf kontinentale Zustände, so kann doch immerhin das, was er zur besseren Informirung seiner Landsleute sagt, dazu dienen, überhaupt eine genauere Kenntniß des Auslandes unter ihnen zu verbreiten:

"Für Engländer sind die Duellen der Kenntniß oder Ueberzeugung über Friedrich, nach meiner Beobachtung, hauptsächlich folgende zwei: Erstens, was seinen öffentlichen Charakter betrifft, ist es eine überaus wichtige Thatsache, nicht für Leßteren, sondern für England in Betreff seiner gewesen, daß Georg II., als er es für gut befand, sich über Hals und Kopf in die deutsche Politik zu stürzen und Maria Theresiens Partei im österreichischen Erbfolgekrieg von 1740-1748 zu ergreifen, damit anfangen mußte, seinem Parlament und den Zeitungen, die im tiefsten Dunkel über den Gegenstand waren, zu versichern, daß Friedrich ein Räuber und Bösewicht sei, weil er die andere Partei ergriffen, welche Versicherung auf was für Grund füßend, werden wir später ersehen — Georg's Parlament und Zeitungen guter Dinge, und ohne den geringsten Zweifel zu hegen, annahmen. Und sie haben sie immerwährend seitdem zurückgeschallt und reverberirt, sie und wir Uebrigen Alle, bis auf den heutigen Tag, als völlig abgemachte Thatsache und als vorläufige Bezeichnung von Friedrich's Charakter. Räuber und Bösewicht zu gutem Anfang; das war Ein abgemachter Punkt.

,,Als nachher Georg und Friedrich Verbündete geworden und die großartigen Kampfführungen des siebenjährigen Krieges stattfanden, kamen Georg's Parlament und Zeitungen über einen zweiten Punkt in Betreff Friedrich's überein: „Einer der größten Soldaten, die je gelebt." Dies zweite Attribut räumt der britische Schriftsteller feitdem völlig ein: aber er fügt noch immer die Eigenschaft des Räubers in unbestimmter Weise hinzu; - und stellt sich einen königlichen Dick Turpin) vor, von der Art, wie er in Revüe-Auffäßen") und in Abhandlungen über den Fortschritt des Menschengeschlechtes gangbar ist, und überschreibt es Friedrich; sehr begierig, neue Aufwärmungen der lügenhaften Anekdoten, falscher Kritiken, hungriger französischer Memoiren zu sammeln, die ihn in jener unmöglichen Idee befestigen sollen. Hätte sich bei einigem Ueberblick dies als der *) Ein berüchtigter englischer Straßenräuber und Räuberromanheld. **) Macaulay.

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