Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Johann Elias Schlegel? Unter dem Jahr 1747 führt er die „Theatralischen Werke“ desselben an und sagt: „Hier stehen 1) Cannut; 2) der Geheimnißvolle; 3) die Trojanerinnen; 4) des Sophokles Elektra; 5) die stumme Schönheit; 6) die lange Weile." Die beiden leßtern stehen nicht darin, sondern machen nebst dem Lustspiele „der Triumph der guten Frauen,“ welches er gar nicht anführt, einen besondern Band, welchen der Ver: faffer Beiträge zu dem Dänischen Theater“ benannt hat.

"

"

Und wie viel andere Unterlassungsfünden hat Herr Gott: sched begangen, die ihm das Lob der Bibliothek sehr streitig machen, daß er etwas so vollständiges geliefert habe, als man sonst bei Sammlungen von dieser Art von der Bemühung eines einzigen Mannes kaum erwarten könne." Nicht ein: mal die dramatischen Werke seines Mylius hat er alle gekannt; denn den „Unerträglichen“ vermissen wir gar, und von den „Aerzten“ muß er auch nicht gewußt haben, daß Mylius Verfasser davon gewesen. Hat er es aber gewußt, und hat er ihn nur deßwegen nicht genannt, weil er sich selbst nicht zu nennen für gut befunden; warum nennt er denn den Ver: fasser der alten Jungfer?"

"

Ich kenne sonst und bin gar wohl damit zufrieden sehr wenig von unserm dramatischen Wuste; aber auch das wenige finde ich bei dem patriotischen Kongopow noch lange nicht alle. So fehlen bei dem Jahr 1747 gleich zwei Stücke, der „Ehestand“ und das Lustspiel auf die Eroberung von Berg op Zoom ic.

Und vor allen Dingen: warum fehlt denn „Anne Dore, oder die Einquartierung, ein Schäferspiel in einem Aufzuge?“ Dieses Mensch kennt der Herr Professor doch ganz gewiß, und es ist gar nicht dankbar, daß er ihrer wenigstens nicht bei Gelegenheit seiner Schaubühne“ erwähnt hat.

VII.

Den 16. Februar 1759.

Siebzehnter Brief.

1

„Niemand," sagen die Verfasser der Bibliothek, wird läugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Theil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.“

Ich bin dieser Niemand; ich läugne es geradezu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen.

Als die Neuberin blühte, und so mancher den Beruf fühlte, sich um sie und die Bühne verdient zu machen, sah es freilich mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln; man bekümmerte sich um keine Muster. Unsere „Staats- und Helden-Actionen“ waren voller Unsinn, Bombast, Schmuß und Pöbelwiß. Unsere „Lustspiele“ bestanden in Verkleidungen und Zaubereien; und Prügel waren die wißigsten Einfälle derseiben. Dieses Verderbniß einzusehen, brauchte man eben nicht der feinste und größte Geist zu seyn. Auch war Herr Gottsched nicht der erste, der es einsah; er war nur der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? Er ver: stand ein wenig Französisch und fing an zu überfeßen; er ermunterte alles, was reimen und Oui Monsieur verstehen fonnte, gleichfalls zu überseßen; er verfertigte, wie ein

1 Des 3. Bandeß 1. Stuck, S. 85.

"

"

Schweizerischer Kunstrichter sagt, mit Kleister und Scheere seinen Cato; er ließ den „Darius“ und die „Austern“ die „Elise“ und den „Bock im Processe,“ den „Aurelius“ und den Wikling,“ die „Banise“ und den „Hypochondristen” ohne Kleister und Scheere machen; er legte seinen Fluch auf das Extemporiren; er ließ den Harlequin feierlich vom Theater vertreiben, welches selbst die größte Harlequinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht sowohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen seyn. Und was für eines neuen? Eines Französirenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französirende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sey, oder nicht.

Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmerken können, daß wir mehr in den Geschmack der Engländer, als der Franzosen einschlagen; daß wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame französische Trauerspiel zu sehen und zu denken giebt; daß das Große, das Schreckliche, das Melancholische besser auf uns wirkt, als das Artige, das Zärt liche, das Verliebte; daß uns die zu große Einfalt mehr ermüde, als die zu große Verwickelung ic. Er hätte also auf dieser Spur bleiben sollen, und sie würde ihn geraden Weges auf das englische Theater geführt haben. Sagen Sie ja nicht, daß er auch dieses zu nußen gesucht, wie sein Cato es beweise. Denn eben dieses, daß er den „Addison'schen Cato“ für das beste englische Trauerspiel hält, zeigt deutlich, daß er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen, und damals keinen Shakespeare, keinen Johnson, keinen Beaumont und Fletscher ic. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen.

Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare mit einigen

bescheidenen Veränderungen unsern Deutschen überseßt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen seyn, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiß. Denn ein Genie kann nar von einem Genie entzündet werden; und am leichtesten von so einem, das alles bloß der Natur zu danken zu haben scheint, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschreckt.

Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu ent= scheiden, ist Shakespeare ein weit größerer tragischer Dichter, als Corneille; obgleich dieser die Alten sehr wohl und jener fast gar nicht gekannt hat. Corneille kommt ihnen in der mechanischen Einrichtung und Shakespeare in dem Wesentlichen nåber. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigene Wege er auch wählt; und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ob er gleich die gebahnten Wege der Alten betritt. Nach dem „Oedipus“ des Sophokles muß in der Welt kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben, als „Othello“, als „König Lear,“ als Hamlet" c. Hat Corneille ein einziges Trauerspiel, das Sie nur halb so gerührt hätte, als die „Zayre“ des Voltaire? Und die Zayre des Voltaire? wie weit ist sie unter dem „Mohren von Venedig,“ dessen schwache Copie sie ist, und von welchem der ganze Charakter des „Orosmans" entlehnt worden?

Daß aber unsere alten Stücke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, könnte ich Ihnen mit geringer Mühe weitläuftig beweisen. Nur das Bekannteste derselben zu nennen;

Doctor Faust hat eine Menge Scenen, die nur ein Shakespear: sches Genie zu denken vermögend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland und ist es zum Theil noch in seinen „Doctor Faust!" Einer von meinen Freunden verwahrt einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgetheilt, in welchem gewiß ungemein viel großes liegt. Sind Sie begierig ihn zu lesen? Hier ist er! Faust verlangt den schnellsten Geist der Hölle zu seiner Bedienung. Er macht seine Beschwörungen; es erscheinen derselben sieben; und nun fängt sich die dritte Scene des zweiten Aufzugs“ an. (f. Band I. S. 364.)

"

Was sagen Sie zu diefer Scene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Scenen hätte? Ich auch!

Achtzehnter Brief.

Sie haben gefunden, daß der zweite Band des „Messias“ in der „Bibliothek“ 1 mit vielem Geschmacke beurtheilt worden. Ueberhaupt davon zu reden, bin ich auch dieser Meinung; ob ich gleich gegen wenig Recensionen in dem ganzen Werke mehr einzuwenden hätte, als gegen diese.

Der Abhandlung des Herrn Klopstock „von der Nachahmung des griechischen Sylbenmaaßes im Deutschen“ hat der Kunstrichter zu wenig Gerechtigkeit widerfahren lassen. Daß sie der Verfasser selbst ein bloßes Fragment nennt, hätte ihn nicht verführen follen. Sie ist in ihrer Art kein schlechteres Fragment, als noch bis jeht der Messias selbst ist. Man sieht nur, daß noch nicht alles gesagt worden; aber was auch gesagt worden, ist vortrefflich. Nur muß man selbst über die alten Sylbenmaaße nachgedacht haben, wenn man alle die feinen 1 Ersten Bandes 2. Stück, S. 291.

« ZurückWeiter »