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dieser Häßlichkeit mit seinem Charakter; der Widerspruch, den beide mit der Idee machen, die er von seiner eigenen Wichtigkeit hegt; die unschädliche, ihn allein demüthigende Wirtung seines boshaften Geschwäßes: alles muß zusammen zu diesem Zwecke wirken. Der leßtere Umstand ist das Ov yłaçtizov, welches Aristoteles 1 unumgänglich zu dem Lächerlichen verlangt; so wie es auch mein Freund zu einer nothwendigen Bedingung macht, daß jener Contrast von keiner Wichtigkeit seyn, und uns nicht sehr interessiren müsse. Denn man nehme auch nur an, daß dem Thersites selbst seine hämische Ver: kleinerung des Agamemnons theurer zu stehen gekommen wäre, daß er sie, anstatt mit ein paar blutigen Schwielen, mit dem Leben bezahlen müssen: und wir würden aufhören über ihn zu lachen. Denn dieses Scheusal von einem Menschen ist doch ein Mensch, dessen Vernichtung uns stets ein größeres Nebel scheint, als alle seine Gebrechen und Laster. Um die Er: fahrung hiervon zu machen, lese man sein Ende bei dem Quintus Calaber.2 Achilles bedauert die Penthefilea getödtet zu haben: die Schönheit in ihrem Blute, so tapfer vergossen, fordert die Hochachtung und das Mitleid des Helden, und Hochachtung und Mitleid werden Liebe. Aber der schmähsüchtige Thersites macht ihm diese Liebe zu einem Verbrechen. Er eifert wider die Wollust, die auch den wackersten Mann zu Unsinnigfeiten verleite,

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Achilles ergrimmt, und ohne ein Wort zu verseßen, schlägt er ihn so unsanft zwischen Back und Ohr, daß ihm Zähne, und Blut und Seele mit eins aus dem Halse stürzen. De Poetica cap. V.

> Paralipom. lib. 1. v. 720-778.

Zu grausam! Der jachzornige mörderische Achilles wird mir verhaßter, als der tückische knurrende Thersites; das Freuden= geschrei, welches die Griechen über diese That erheben, be: leidigt mich; ich trete auf die Seite des Diomedes, der schon das Schwert zuckt, seinen Anverwandten an dem Mörder zu rächen; denn ich empfinde es, daß Thersites auch mein Anverwandter ist, ein Mensch.

Geseßt aber gar, die Verheßungen des Thersites wären in Menterei ausgebrochen, das aufrührerische Volk wäre wirklich zu Schiffe gegangen und hätte seine Heerführer ver: rätherisch zurückgelassen, die Heerführer wären hier einem rachsüchtigen Feinde in die Hände gefallen, und dort hätte ein göttliches Strafgericht über Flotte und Volk ein gänzliches Verderben verhangen: wie würde uns alsdann die Häßlichkeit des Thersites erscheinen? Wenn unschädliche Häßlichkeit lächer: lich werden kann, so ist schädliche Häßlichkeit allezeit schrecklich. Ich weiß dieses nicht besser zu erläutern, als mit ein paar vortrefflichen Stellen des Shakespeare. Edmund, der Bastard des Grafen von Gloster im König Lear, ist kein geringerer Bösewicht, als Richard, Herzog von Glocester, der sich durch die abscheulichsten Verbrechen den Weg zum Throne bahnte, den er unter dem Namen Richard der Dritte bestieg. Aber wie kommt es, daß jener bei weitem nicht so viel Schaudern und Entseßen erweckt, als dieser? Wenn ich den Bastard sagen höre: 1

Thou, Nature, art my Goddess, to thy Law
My Services are bound; wherefore should I
Stand in the Plage of Custom, and permit

The curtesie of Nations to deprive me,

For that I am some twelve, or fourteen Moonshines
King Lear. Act. 1. Sc. VI.

Lag of a Brother? Why Bastard? wherefore base?
When my dimensions are as well compact,
My mind as gen'rous, and my shape as true
As honest Madam's Issue? Why brand they thus
With base? with baseness? bastardy, base? base?
Who, in the lusty stealth of Nature, take
More composition and fierce quality,

Than doth, within a dull, stale, tired Bed,

Go to creating a whole tribe of Fops,

Got 'tween a-sleap and wake?

fo höre ich einen Teufel, aber ich sehe ihn in der Gestalt eines Engels des Lichts. Höre ich hingegen den Grafen von Glocester sagen:

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But I, that am not shap'd for sportive Tricks,

Nor made to court an am'rous looking-glass,

I, that am rudely stampt, and want Love's Majesty,
To strut before a wanton, ambling Nymph;
I, that am curtail'd of this fair proportion,
Cheated of feature by dissembling nature,
Deform'd, unfinish'd, sent before my time
Into this breathing world, scarce half made up,
And that so lamely and unfashionably,

That dogs bark at me, as I halt by them.
Why I (in this weak piping time of Peace)
Have no delight to pass away the time;
Unless to spy my shadow in the sun,
And descant on mine own deformity.

And therefore, since I cannot prove a Lover,
To entertain these fair well-spoken days,

I am determined, to prove a Villain!

The Life and Death of Richard III. Act. I. Sc. I.

fo höre ich einen Teufel und sehe einen Teufel, in einer Ge: stalt, die der Teufel allein haben sollte.

XXIV.

So nußt der Dichter die Häßlichkeit der Formen; welchen Gebrauch ist dem Maler davon zu machen vergönnt?

Die Malerei, als nachahmende Fertigkeit, kann die Haßlichkeit ausdrücken: die Malerei, als schöne Kunst, will sie nicht ausdrücken. Als jener gehören ihr alle sichtbare Ge: genstände zu; als diese schließt sie sich nur auf diejenigen sichtbaren Gegenstände ein, welche angenehme Empfindungen erwecken.

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Aber gefallen nicht auch die unangenehmen Empfindangen in der Nachahmung? Nicht alle. Ein scharfsinniger Kunstrichter hat dieses bereits von dem Eckel bemerkt. Die Vor: ,, stellungen der Furcht,“ sagter, „der Traurigkeit, des Schreckens, ,,des Mitleids u. s. w. können nur Unlust erregen, in so ,,weit wir das Uebel für wirklich halten. Diese können also ,,durch die Erinnerung, daß es ein künstlicher Betrug sey, ,,in angenehme Empfindungen aufgelöst werden. Die widrige Empfindung des Eckels aber erfolgt vermöge des Gesches „der Einbildungskraft auf die bloße Vorstellung in der Seele, „der Gegenstand mag für wirklich gehalten werden oder „nicht. Was hilft's dem beleidigten Gemüthe also, wenn „sich die Kunst der Nachahmung noch so sehr verräth? Jhre ,, Unlust entsprang nicht aus der Vorausseßung, daß das ,,Uebel wirklich sey, sondern aus der bloßen Vorstellung dessel: ,,ben, und diese ist wirklich da. Die Empfindungen des Eckels sind also allezeit Natur, niemals Nachahmung.“

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Eben dieses gilt von der Häßlichkeit der Formen. Diese 1 Briefe, die neueste Litteratür betreffend. Th. V. S. 102.

Häßlichkeit beleidigt unser Gesicht, widersteht unserm Ge schmack an Ordnung und Uebereinstimmung, und erweckt Abschen, ohne Rücksicht auf die wirkliche Eristenz des Gegenstandes, an welchem wir sie wahrnehmen. Wir mögen den Thersites weder in der Natur noch im Bilde sehen; und wenn schon sein Bild weniger mißfällt, so geschieht dieses doch nicht deßwegen, weil die Häßlichkeit seiner Form in der Nachahmung Häßlichkeit zu seyn aufhört, sondern weil wir das Vermögen besiken, von dieser Häßlichkeit zu abstrahiren, und uns bloß an der Kunst des Malers zu vergnügen. Aber auch dieses Vergnügen wird alle Augenblicke durch die Ueberlegung unterbrochen, wie übel die Kunst angewendet worden, und diese Ueberlegung wird selten fehlen, die Geringschäßung des Künstlers nach sich zu ziehen.

Aristoteles giebt eine andere Ursache an, 1 warum Dinge, die wir in der Natur mit Widerwillen erblicken: auch in der getreuesten Abbildung Vergnügen gewähren, die allgemeine Wißbegierde des Menschen. Wir freuen uns, wenn wir ents weder aus der Abbildung lernen können, 7. Exasov, was ein jedes Ding ist, oder wenn wir daraus schließen können, ör outo; ixsivos, daß es dieses oder jenes ist. Allein auch hieraus folgt, zum Besten der Häßlichkeit in der Nachahmung, nichts. Das Vergnügen, welches aus der Befriedigung unserer Wißbegierde entspringt, ist momentan, und dem Gegenstande, über welchen sie befriedigt wird, nur zufällig; das Mißvergnügen hingegen, welches den Anblick der Häßlichkeit begleitet, permanent, und dem Gegenstande, der es erweckt, wesent lich. Wie kann also jenes diesem das Gleichgewicht halten? Noch weniger kann die kleine angenehme Beschäftigung, welche uns die Bemerkung der Aehnlichkeit macht, die unangenehme 1 De Poetica cap. IV.

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