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Stamm und Endung iss einschieben; stossen drei s am Ende zusammen, was im Sing. Ind. Prés. der Fall ist, so fallen zwei weg. In der dritten Conjugation würde in der dritten Pers. Sing. Ind. Prés. d und t zusammenstossen, das t der Endung fällt weg. Für die vierte, oder starke, gelten folgende Regeln. Es sind drei verschiedene Stämme bei den Verben dieser Conjugation zu unterscheiden, der Präsensstamm, der Futurstamm und der Parf. déf.-Stamm. Der Präsens stamm erscheint nach Abfall der Endung oir; der Parf. déf.-Stamm nach Abfall der Endung evoir, avoir, ouvoir; der Futurstamm nach Ausstossung des oi, z. B. von recevoir recevr. An diese Stämme werden die Endungen gehängt. Dass mehrere Stämme zu unterscheiden sind, ist durchaus nicht etwas Absonderliches; man denke daran, wie gewöhnlich und häufig dies bei den griechischen Verben der Fall ist. Für das Präsens ist noch zu merken, erstens: wenn zwei Consonanten zusammenstossen, fällt der Endconsonant des Stammes ab, was der Fall ist im Sing. Ind. Prés., gerade wie bei den einfachen Verben auf ir. Zweitens: die Endungen zerfallen in leichte und schwere, d. h. solche, die gesprochen werden, und solche, die nicht gesprochen werden; vor den leichten Endungen erfährt der Stammvocal eine Verstärkung, e in oi, bei einigen sogenannten unregelmässigen in ie z. B. bei venir, tenir, conquérir; ou in eu bei mouvoir etc.

Diese wenigen einfachen Regeln, die hier nur kurz angedeutet und in den allgemeinsten Zügen zusammengestellt sind, genügen nicht nur zur Bildung der Formen in vier regelmässigen Conjugationen, sondern es wird auch mindestens die Hälfte von den Formen der sogenannten unregelmässigen Verba vollkommen regelmässig. Ist das ein Gewinn, der gering anzuschlagen ist? Würden die Philologen der alten Sprachen je zugeben, dass die lateinischen und griechischen Verba so mechanisch gelernt würden, dass der Schüler auch nicht die geringste Einsicht in die Bildung und Entstehung der Formen hätte, und dass ihm die Mehrzahl der Formen unregelmässig und unverständlich erschiene, während sie ihm mit leichter Mühe als regelmässig dargestellt werden könnten? Warum soll in den neueren Sprachen noch immer in so mechanischer und unwissenschaftlicher Weise in den Schulen verfahren werden? Warum sollen die

neueren Sprachen in dieser Beziehung so entschieden und wissentlich hinter den alten zurückbleiben? Robolski, Anleitung zum französischen Styl, Berlin 1856 Einleitung p. 9 sagt: „Wir haben an unserem Lehrobjecte (der französischen Sprache) ein herrliches, gewaltiges Bildungsmittel für die deutsche Jugend. Freilich wird das ausserhalb der Realschule kaum geahnt." Soll die französische Sprache wirklich ein gewaltiges Bildungsmittel sein - und sie kann es sein so ist es durchaus nothwendig, dass auch die Formenlehre schon so gelehrt werde, dass sie bildend wirke; denn die Formenlehre nimmt die Kräfte des Schülers zuerst fast ausschliesslich in Anspruch, an dieser muss er daher seine Kräfte üben, damit er befähigt werde, die Formen der Syntax zu begreifen und zu verstehen. Aber wie mechanisch werden die Elemente der französischen Sprache in den Schulen meistens noch gelehrt, und was kann auf der mangelhaften Grundlage, die so gelegt wird, aufgebaut werden?

Tycho Mommsen, die Kunst des deutschen Uebersetzers aus neueren Sprachen S. 64 sagt, dass der Gelehrtenschüler auf einem ungesattelten Pferde reiten gelernt habe, und deshalb viel sicherer und gewandter sei als der Realschüler mit seiner flacheren Grundbildung, und diesem im geistigen Wettrennen um mehr als eine Pferdelänge voraus sei. Und in der That muss man, bis jetzt wenigstens, dem Lateinischen und Griechischen einen weit grösseren bildenden Einfluss als den neueren Sprachen beilegen. Zum Theil liegt dies wohl, wie wir oben gezeigt haben, an der Beschaffenheit der Sprachen; besonders aber hat es seinen Grund darin, dass die alten Sprachen nicht so mechanisch und unwissenschaftlich gelehrt werden wie die neueren. Was soll man zu einer Regel sagen, wie „Präpositionen regieren im Französischen keinen Casus ?" (Plötz Grammatik p. 88). Der Schüler hat gelernt Nom. le père, Gen. du père, Dat. au père, Acc. le père. Wenn er nun ein wenig nachdenkt und sich nach der Regel genau richten will, so muss er folgende Schlussfolgerung machen: Mit dem Nom. le père darf eine Präposition nicht verbunden werden, denn der Nom. ist ein Casus;*) mit dem Gen. auch nicht, denn dies ist ein

*) Dass der Nominativ nach der Lehre von Becker eigentlich nicht als Casus anzusehen ist, lernt der Schüler nicht.

Casus; mit dem Dat. auch nicht, denn dies ein Casus; mit dem Acc. auch nicht, denn dies ist ebenfalls ein Casus. Wie soll man ferner nach der Regel, wie sie bei Plötz hingestellt ist, dem Schüler Verbindungen wie avec des soldats, avec du fer erklären? Die Regel wird motivirt in dem Anhange S. 387: „Es ist, nach meinem Dafürhalten, nicht nur ganz willkürlich, sondern auch für den Schüler verwirrend, wenn man sagt, in pour le père, sei le père der Accusativ. Alle Präpositionen werden beim Relativum mit der Form qui und nicht mit der den Accusativ des Relativs ausschliesslich bezeichnenden Form que verbunden." Wenn die Anwendung einer so einfachen Regel, wie die französischen Präpositionen regieren den Accusativ," für den Schüler verwirrend ist, so muss man es überhaupt aufgeben, dass derselbe durch Erlernen einer fremden Sprache sein Denkvermögen übe, dann wird alles mechanische Gedächtnisssache. Wie kann aber behauptet werden, es sei willkürlich, zu sagen in pour le père sei le père der Accusativ? Es lässt sich historisch ganz genau nachweisen, dass die französischen Präpositionen den Accusativ regieren. Das Französische unterschied nämlich früher, wie hinreichend bekannt ist, den Nominativ und Accusativ, siehe Burguy Grammaire de la langue d'oïl I. p. 64. Die Präpositionen wurden mit dem Accusativ verbunden, wie an zahlreichen Beispielen bei Burguy zu ersehen ist. Was die Bemerkung betrifft, dass die Präpositionen mit qui und nicht mit que, der Form des Accusativs, stehen, so ist es ebenfalls historisch nachzuweisen, dass die Form qui, mit welcher die Präpositionen verbunden werden, ursprünglich nicht nur als Form für den Nominativ galt, sondern auch als Form für den Accusativ, und dass überhaupt die Präpositionen nie mit den Formen der Pronomina verbunden wurden, die ausschliesslich für den Nominativ galten, siehe Burguy I. 159. Mätzner Syntax der neufranzösischen Sprache I. p. 200. II. §. 465.

Auf dem Gebiete der französischen Schulgrammatik ist noch Manches zu thun und Manches zu reformiren auf Grund der neueren wissenschaftlichen Forschungen. Einen sehr rühmlichen Anfang hat d'Hargues mit seiner Grammatik gemacht, die mit der Zeit gewiss eine immer grössere Anerkennung finden wird.

In den Schulgrammatiken nach dem alten Systeme sind übrigens ausser dem Verbum noch einige andere besonders schwache Punkte, namentlich die Darstellung des Artikels, die durchaus willkürlich, unwissenschaftlich und unverständlich ist.

Elbing.

Sonnenburg.

Kritische Bemerkungen
über zwei Stellen aus Dramen Shakspeare's.

(Timon of Athens III, 4 und Twelfth-Night II, 5.)

Die Ansicht, dass die in Handschriften uns überlieferten Werke der Schriftsteller des classischen Alterthums von den Herausgebern und Bearbeitern in kritischer Beziehung eine andere Behandlung erfordern, und dass sie grössere Schwierigkeiten hervorrufen als die Werke neuerer Schriftsteller, welche erst seit der Erfindung der Buchdruckerkunst veröffentlicht sind, kann nur bedingungsweise und unter Einschränkungen als richtig anerkannt werden. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass der Text der alten Classiker, besonders wenn von ihnen zahlreiche Handschriften vorhanden sind, meist eine grössere Menge von Varianten darbietet als der Text unserer neueren Schriftsteller, dass die Feststellung des Textes durch die Abschätzung des Werthes der Handschriften und die Eintheilung derselben in Classen und Familien ein mühsames, viel Ausdauer, Sachkenntniss und Scharfsinn erforderndes Geschäft ist, dessen man bei neueren Schriftstellern überhoben ist, dass die Flüchtigkeit und Nachlässigkeit, oder die Unwissenheit, ja selbst die klügelnde Afterweisheit der ihren Schriftsteller verbessern wollenden Abschreiber, die Verwechslung der von ihnen gewählten Abkürzungen, die Unleserlichkeit ihrer Handschrift oder die Verwischung der Schriftzüge u. dergl. m. Ursache von zahllosen Verderbnissen des Textes geworden sind, deren Erkennung und Beseitigung durch glückliche Conjecturen eine Hauptaufgabe der Kritiker bildet, während viele der neueren Schrift

Archiv f. n. Sprachen. XXXI.

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