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standenen Handschrift), ist zu bezweifeln und macht mich gegen diese Conjectur Collier's bedenklich.

Wenn auch Collier mit Recht bemerkt, dass es am Ende eine Sache von nur geringer Bedeutung sei, das richtige Wort, welches in der Urschrift stand, zu wissen: so möchte man doch einen so grossen Dichter wie Shakspeare selbst von kleinen Flecken gereinigt sehen; und so hat die Auffindung eines an die Stelle des Verderbnisses zu setzenden passenden Wortes auch mein Nachdenken beschäftigt. Bei dem weiten Spielraum indessen, welcher dem Inhalte des Contextes zufolge für Vermuthungen dargeboten ist, darf man freilich auf zwingende Beweiskraft seiner Conjectur von vornherein sich keine Rechnung machen, sondern muss sich mit der Möglichkeit der Richtigkeit seiner Vermuthung neben verschiedenen anderen vielleicht eben so wahrscheinlichen genügen lassen. Den Anforderungen unseres Textes erstens einer im Gegensatze zu dem Garderobediener möglichst hochgestellten Dame - deren Heimat übrigens weder in dem Vaterlande des Dichtens, noch in dem Lande, welches Shakspeare zum Schauplatze unseres Dramas macht, das ist in Illyrien, nothwendig gesucht zu werden braucht, sondern für welche uns die Wahl so lange völlig frei steht, als nicht eine aus bisher unzugänglichen Quellen geschöpfte zufällige glückliche Entdeckung Licht auf diese Anspielung Shakspeare's wirft, und zweitens einem in den Schriftzügen dem überlieferten Strachy möglichst nahe kommenden Worte, das wo möglich auch ein Fremdwort oder Eigenname sein muss: diesen Anforderungen scheint mir das Wort Starosty vollkommen zu entsprechen. Wäre dies Wort das aus Shakspeare's Feder geflossene, so hätten wir uns zu denken, dass eine grosse Magnatin irgend eines slawischen Reiches, die Besitzerin einer Starostei, ihren Garderobendiener zu ihrem Gemahle erhoben habe: was gerade in einem halb orientalischen Staate zwar weniger befremdlich sein würde als in jedem anderen, dennoch aber, auf welche Weise auch die Kunde davon nach England gedrungen war, zur Zeit der Abfassung unseres Dramas in London eine grosse und das Publicum wenigstens für einige Zeit interessirende Neuigkeit gewesen sein muss, denn dass es allbekanntes Stadtgespräch war, scheint mir ziemlich deutlich aus dem Gebrauche des bestimmten Artikels in den Worten the lady . . . married the yeoman hervorzugehen.

Dr. Herm. Erfurdt.

Ueber Shakspeare's Hamlet.*)

Jeder Einzelne von uns weiss, dass er eine und dieselbe Dichtung zu verschiedenen Zeiten ganz verschieden liest; so im Grossen auch ein Volk, die Menschheit selbst. Wie verschieden wurde gerade Shakspeare bis auf heute gelesen und erklärt! Diese Erklärungen z. B. des Hamlet, in ihrer geschichtlichen Reihenfolge zusammengestellt, sind selbst ein Stück Geschichte eines Volkes, einer Zeit. Goethe sah in Hamlet eine schöne Seele, der eine zu grosse Aufgabe auferlegt wird, und schenkte ihr deshalb sein Mitleid; es war dies die ästhetische Zeit der Deutschen. Börne schmäht den thatlosen Helden, Gervinus und Freiligrath sehen in Hamlet ein Stück Deutschland; es ist die beginnende politische Zeit, die Zeit, die selbst bei der Erklärung Shakspeare's Tendenz verfolgt. Wir stehen vielleicht schon in einer vorurtheilsfreieren Zeit, welche die That zwar hoch anschlägt, aber auch Sinn für die dichterische Darstellung der Entwicklungsgeschichte einer That besitzt. Und diese ist

Hamlet.

Welch ein Meisterstück ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft! Wie unbegrenzt in seinen Fähigkeiten! An Gestalt and Bewegung wie vollendet und bewundernswerth! Im Handeln wie so ähnlich einem Engel! Wie gleich in seinem Denken einem Gott! Die Zierde der Welt! das Muster aller Wesen!"

Mit diesen Worten Hamlets leiten wir unsere Betrachtung ein, Hamlets, der uns mehr als eine einzelne sagenhafte Ge

* Der Verfasser dieser dramatischen Studie hat bekanntlich früher ein grösseres Werk über Hamlet (Aarau, Sauerländer 1853) erscheinen lassen. Obiger Vortrag wurde im Januar d. J. in Berliu gehalten. D. Red.

stalt, der uns in einer Beziehung ein Repräsentant der Menschheit ist. Um so bedeutungsvoller sind seine Worte. Einem Gotte gleich? Ist nicht der Mensch der an die Erde geschmiedete Prometheus? Gefesselt ja aber auch von einer mitleidigen Gottheit ausgerüstet, sich dieser Fessel auf eine zweifache Weise zu entledigen durch die Macht des Gedankens und durch die Macht des, Gedanken zu Thaten gestaltenden Willens. Zwei grosse Dichter unterzogen sich der Aufgabe, diese Erhebungsversuche, diese Kämpfe des Geistes mit den Ketten des Diesseits in erschütternden Schauspielen zu veranschaulichen. Goethe, der Dichter einer filosofischen Nation, machte den Menschen in seinem Kampfe gegen die Schranken der Vernunft, Shakspeare, der Poet eines handelnden Volkes, den Menschen im Verhältniss zu der ihm gegenüberstehenden Nothwendigkeit, im Konflikt mit den Hemmungen der sittlichen Freiheit und Thatkraft zum Stoffe einer Welttragödie.

Weil Faust eine höhere übermenschliche Erkenntniss anstrebt, geht ihm die Wahrheit, die dem Menschen zu wissen gestattet ist, mitten in seinem Forschen verloren; weil Hamlet ein von Aussen freieres, ein mit der ängstlichsten Erwägung aller wirklichen wie möglichen Folgen verbundenes, ein - fast göttliche Seherkraft für die Gestaltungen der Zukunft voraussetzendes Handeln verlangt, geräth er fast in völlige Thatlosigkeit und verliert den Blick auf das Nächste.

Der Mensch ist in den Tagen der Unschuld Eins mit sich: er glaubt -er handelt ohne Bedenken. Diese Unmittelbarkeit zerstört der Mephisto in uns, der Zweifel. Im Faust sehen wir den Zweifel in seiner Richtung auf die Idee der Vernunft, im Hamlet in seinem Einfluss auf das Handeln. Welche Fragen, nicht kleinere als die im Faust, dringen im Hamlet auf uns ein! Sind wir frei, fragen wir uns unter den Schauern der Tragik? Und wenn, haben wir die Kraft, unsern Willen durchzuführen? Wie können wir diese Kraft haben, wenn wir sehen, dass die grössten Vorsätze oft schon im Entschlusse sterben? Wie können wir frei sein, wenn wir wahrnehmen, dass Entscheidendes oft in einem Augenblicke der Leidenschaft geschieht? Wo endet unsere Freiheit, wo beginnt sie, die strenge Nothwendigkeit? Unser Aller Herz klopft, wenn wir Hamlet dem Dilemma gegen

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überstehen sehen: Soll ich eingreifen in die Welt, unbekümmert um die Ereignisse, die auf meiner Degenspitze schweben? oder beschränke ich mir nicht durch den Hinblick auf unzählige Hindernisse, die ich in der Ferne erblicke, den Gesichtskreis des möglichen Handelns? Ferner: Hat die Vorsehung Macht und Recht, uns zu ihrem Werkzeug zu berufen? Und wenn, sind wir dann noch frei? Haben wir als freie Menschen nicht Macht und Recht, uns einem solchen Auftrage zu entziehen? Oder sollen wir der Selbstbestimmung entsagen und den von Aussen an uns ergehenden Mahnruf in unsern Willen aufnehmen? Woran erkennen wir aber, wenn uns diese Pflicht aufliegt, dass jener Mahnruf auch ein berechtigter, ein göttlicher sei? Sollen wir so unbedingt an ihn glauben, woher er auch komme, oder sollen wir uns zuvor seiner Wahrheit und Gültigkeit vergewissern?

Hamlet, der über seiner That stehen, der sie allseitig durchdacht haben, der einem äusseren Rufe und selbst dem des Vaters nicht folgen will, bis ihn nicht eigene Erkenntniss, innerer Entschluss treibt, Hamlet kommt entweder, anstatt einem „Engel gleich zu handeln, gar nicht zu der That oder handelt unbesonnen, von äusseren Umständen dazu gestossen. Erst, nachdem er durch die Resignation hindurchgeht, sich Gott ergibt „Bereit sein ist Alles" gesprochen hat, gelangt er zu der That.

So ist Hamlet die grosse Dichtung des Konflikts menschlicher Freiheit und höherer Nothwendigkeit, des Konflikts und der Versöhnung, doch in einem, von anderen Trauerspielen ganz verschiedenem Sinne. Anderwärts- nehmen wir Makbeth -entsteht dieser Konflikt dadurch, dass der Held aus seiner Freiheit heraus der sittlichen Nothwendigkeit übermüthig, ja feindlich entgegentritt, durch die That fehlt; hier aber entzieht sich der Held, in seiner Freiheit, dem Rufe des Geschickes und ladet durch die Nichtthat Schuld und Fluch auf sich.

Shakspeare wie Goethe, um noch eines interessanten Zufalls zu gedenken, lassen ihre Helden von Wittenberg ausgehen. Wittenberg nennt den Morgen einer neuen Zeit. Von Wittenberg aus wurde der alte kindliche Glaube zertrümmert; von ihm nahmen unsere beiden Denker den Zweifel, den Vater freier Forschung und freier That, mit sich. Es ist eine oft wieder

holte Wahrheit, dass jeder Mensch ein Stück Faust in sich trage; aus unserer Darstellung geht vielleicht hervor, dass in uns Allen auch ein Stück Hamlet liege.

Werfen wir einen flüchtigen Blick auf die Natur der menschlichen Willensfreiheit, die Bedingungen ihrer Entfaltung, die Hemmnisse ihrer Bethätigung. Der Wille als solcher ist noch ohne Gehalt; er empfängt ihn erst vom Geiste. Der Mensch kann nichts wollen, als was er in seiner Vorstellungswelt aufgenommen hat. Das Erkennen allein reicht aber auch noch nicht hin, um Etwas zu wollen; sonst müssten wir Alles, was wir erkennen, auch wollen. Das Erkannte muss einen Eindruck auf das Gefühl des Menschen hervorbringen und dadurch den Willen in Thätigkeit setzen. Diese Einwirkung kann wieder anziehend oder abstossend sein. Es ist jedoch damit nicht gesagt, dass der Wille einen ihn so anziehenden Gedanken in sich aufnehmen müsse. Sonst könnten uns nicht zwei Gedanken gleichzeitig anziehen: Sein oder Nichtsein?

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Börne sagt schön: „Die Ueberlegung ist die Wurzel, die Empfindung ist die Blüte, die Handlung ist die Frucht des menschlichen Geistes." Der Same Gedanke bedarf aber, um zur Frucht That zu werden, noch gar mancher äusserer, günstiger Umstände. - Erde, Wasser, Luft und Licht! und zahllose Hemmnisse hat er zu bekämpfen. Diese liegen theils in der Sphäre des Denkens, wie Armuth an Vorstellungen, falsche Anschauungen, Mangel an Klarheit und Energie der Gedankenbilder, Vorurtheile der Zeit, zu langes Erwägen, Störung und Zerstörung des Geistes wie im Wahnsinne. Nichts ist z. B. ergreifender in unserem Drama, als dass neben Hamlet, der das bewusste Wollen, die Freiheit zuspitzt, Ophelia erscheint, ein menschliches Wesen, das mit dem Verluste seines Quentchens von Geist auch allen und jeden freien Willen einbüsst.

Die Hemmnisse der zweiten Art liegen in zu geringer oder auch zu grosser, daher flüchtiger Empfänglichkeit für die Tendenz der Gedanken, die der dritten beziehen sich auf die Natur des Willens selbst, bedingt durch Geschlecht, Alter, Körper, Erziehung, Stimmung, Lebensgang und Lebenslage die der vierten auf die äussere Verwirklichung des Gedankens, die

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