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erhalten; und daß sich dieser Beifall auf wahre Schönheiten gründen müsse, daß er nicht das Werk einer überraschenden blendenden Vorstellung scy, ist daher klar, weil ihn noch niemand nach Lesung des Stücks zurückgenommen. Wer es zuerst gelesen, dem gefällt es um so viel mehr, wenn er es spielen sieht, und wer es zuerst spielen gesehen, dem gefällt es um so viel mehr, wenn er es liest. Auch baben es die strengsten Kunstrichter eben so sehr seinen übrigen Lustspielen, als diese überhaupt dem gewöhnlichen Prasse deutscher Komödien vorgezogen.

„Ich las, sagt einer von ihnen, 1 den geschäftigen Müfig: gänger; die Charaktere schienen mir vollkommen nach dem Leben; solche Müßiggänger, solche in ihre Kinder vernarrte Mütter, solche schalwißige Besuche und solche dumme Pelzhändler sehen wir alle Tage. So denkt, so lebt, so bandelt der Mittelstand unter den Deutschen. Der Dichter hat seine Pflicht gethan, er hat uns geschildert, wie wir sind. Allein ich gähnte vor Langeweile. — Ich las darauf den Triumph der guten Frauen. Welcher Unterschied! Hier finde ich Leben in den Charakteren, Feuer in ihren Handlungen, ächten Wiş in ihren Gesprächen, und den Ton einer feinen Lebensart in ihrem ganzen Umgange."

Der vornehmste Fehler, den ebenderselbe Kunstrichter daran bemerkt hat, ist der, daß die Charaktere an sich selbst nikt deutsch sind. Und leider muß man diesen zugestehen. Bu sind aber in unsern Lustspielen schon zu sehr an fremde und besonders an französische Sitten gewöhnt, als daß er eine besonders üble Wirkung auf uns haben könnte.

„Nikander, heißt es, ist ein französischer Abenteurer, de:

1 Briefe, die neueste Literatur betreffend. Tb. XXI S. 133. (Bon N Mendelssohn.)

auf Eroberungen ausgeht, allen Frauenzimmern nachstellt, keinem im Ernste gewogen ist, alle ruhige Ehen in Uneinigkeit zu stürzen, aller Frauen Verführer und aller Männer Schrecken zu werden sucht, und der bei allem diesem kein fchlechtes Herz hat. Die herrschende Verderbniß der Sitten und Grundsäße scheint ihn mi. fortgerissen zu haben. Gott, lob! daß ein Deutscher, der so leben will, das verderbteste Herz von der Welt haben muß. Hilaria, des Nikanders Frau, die er vier Wochen nach der Hochzeit verlassen, und nunmehr in zehn Jahren nicht gesehen hat, kommt auf den Einfall ihn aufzusuchen. Sie kleidet sich als eine Mannsperson, und folgt ihm unter dem Namen Philint in alle Häuser nach, wo er Avanturen sucht. Philint ist wißiger, flatterhafter und unverschämter als Nikander. Das Frauenzimmer ist dem Philint mehr gewogen, und sobald er mit seinem frechen, aber doch artigen Wesen sich sehen läßt, steht Nikander da wie verstummt. Dieses giebt Gelegenheit zu sehr lebhaften Situa= tionen. Die Erfindung ist artig, der zweifache Charakter wohl gezeichnet, und glücklich in Bewegung geseßt; aber das Original zu diesem nachgeahmten Petitmaitre ist gewiß kein Deutscher."

„Was mir, fährt er fort, sonst an diesem Lustspiele mißfällt, ist der Charakter des Agenors. Den Triumph der guten Frauen vollkommen zu machen, zeigt dieser Agenor den Ehemann von einer gar zu häßlichen Seite. Er tyrannísirt seine unschuldige Juliane auf das unwürdigste, und hat recht seine Lust sie zu quälen. Grämlich, so oft er sich sehen läßt, spöttisch bei den Thränen seiner gekränkten Frau, argwöhnisch bei ihren Liebkosungen, boshaft genug, ihre unschuldigsten Neden und Handlungen durch eine falsche Wendung zu ihrem Nachtheile auszulegen, eifersüchtig, hart, unempfindlich, und wie sie sich Lessing, Werke. VII.

leicht einbilden können, in seiner Frau Kammermädchen ver liebt. — Ein solcher Mann ist gar zu verderbt, als daß wir ihm eine schleunige Befferung zutrauen könnten. Der Dichter giebt ihm eine Nebenrolle, in welcher sich die Falten seines nichtswürdigen Herzens nicht genug entwickeln können. E tobt, und weder Juliane noch die Leser wissen recht, was er will. Eben so wenig hat der Dichter Raum gehabt, seine Befferung gehörig vorzubereiten und zu veranstalten. Er mußt sich begnügen, dieses gleichsam im Vorbeigehen zu thun, weil die Haupthandlung mit Nikander und Philinten zu schaffen hatte. Kathrine, dieses edelmüthige Kammermädchen der Juliane, das Agenor verfolgt hatte, sagt gar recht am Ende des Luftspiels: Die geschwindesten Bekehrungen sind nicht allemal die aufrichtigsten! Wenigstens so lange dieses Mädchen im Hause ist, möchte ich nicht für die Aufrichtigkeit stehen."

Ich freue mich, daß die beste deutsche Komödie dem richtigsten deutschen Beurtheiler in die Hände gefallen ist. Und doch war es vielleicht die erste Komödie, die dieser Mann beurtheilte.

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